berliner szenen: Wir sprechen kein Wort
Bei aller Liebe und natürlich wegen der Liebe: Berlin ist eine schlechte Stadt bei Kummer. So voll, so lärmend, so ohne Pause. Auf der Suche nach Einsamkeit wird man im Volkspark Friedrichshain mit zu vielen glücklichen Menschen konfrontiert, die entweder joggend, ihre*n Partner*in an der Hand haltend oder einen niedlichen Hund kuschelnd ihr Leben total im Griff haben. Und selbstverständlich freuen sich alle überschwänglich über das tolle Wetter.
Sogar der Garant für eine Ansammlung schlechter Laune – klar, die S-Bahn – versagt beim Thema Kummer bei voller Fahrt auf voller Linie. Wird man an der Wand lehnend, sentimental vor sich hin starrend von Tränen übermannt – ach, was passt die männlich geprägte deutsche Sprache manchmal –, drehen sich die schicken älteren Damen empört weg und zischen, gut hörbar, etwas von „jungen Menschen mit Drogenproblemen, eine Schande“. Manchmal haben Tränen einfach die gleiche Wirkung wie Spritzen.
Erschöpft sinkt der Körper auf einen freiwerdenden Platz. Immerhin das. Es schluchzt laut neben mir. Dieses vertraute Geräusch da, das kommt nicht von mir, das bin gar nicht ich. Den Blick zum Fenster hin abgewendet, eine halbleere Bierflasche in der Hand haltend, lässt eine Transfrau die Tränen in der Bahn fließen, hält nichts zurück. Ihr Make-Up ist verschmiert, der grüne Pullover von den Schultern gerutscht. Bevor ich irgendwas überdenken kann, lege ich meine Hand zaghaft in ihre, weine leise mit. Ein paar Minuten verstreichen, dann drückt sie meine Hand zurück. Wir sprechen kein Wort und weinen, vielleicht aus völlig unterschiedlichen Gründen, vielleicht aus ähnlichen. Am Zoologischen Garten muss ich aussteigen. Ein letztes Drücken, dann begegnen wir beide wieder alleine der Stadt und unserem Kummer. Linda Gerner
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