berliner szenen: Wenn es Winter ist und kalt
So nah ist man sich in der U-Bahn, denke ich, als ich einen Mann beim Hinsetzen stoße, „tschuldigung“ murmle. Als ich sitze, atme ich erleichtert aus. Mein Blick fällt auf die Frau, die mir gegenübersitzt. Ich sehe ihre dichten Augenbrauen und frage mich, weshalb ihre Augen so trüb sind. Sie schließt sie, fängt an zu dösen und hält ihre Einkäufe dabei fest in der Hand, dicht an die Brust gepresst.
Sie ist schön, denke ich. Die Frau hat braune Haut und Locken, an ihren Wimpern haftet Glitzer. Die Jacke, die sie trägt, ist offen und noch dazu viel zu dünn. Obwohl es draußen kalt ist. Berlin fühlt sich im Winter immer noch ein bisschen kälter an, als es eigentlich ist. Jedenfalls dann, wenn es windet, wie heute. Die kalte Luft nur so an die Häuser prescht, sich staut in den Straßen. Was die Frau wohl sagen würde, wenn ich sie darauf aufmerksam machen würde, dass sie so dünn ist, die Jacke? Während ich das denke, mustere ich sie weiter, fast unverschämt.
Letztens hat mich einer angesprochen und gesagt, dass mir doch kalt sein müsse, ich zu dünn angezogen sei. Es war am Leopoldplatz und hat stark geregnet. Als würde der Regen Fäden ziehen. Ich fand das nervig und habe dem Mann nicht geantwortet. Was der wohl dachte?
Während ich jetzt daran denke, werde ich ein bisschen traurig. Vielleicht war es ja nett gemeint. Eigentlich sorgen sich die Menschen viel zu wenig umeinander in dieser großen Stadt, denke ich. Vor allem dann, wenn es Winter ist und kalt. Oder nass wie letztens.
Der Kopf der Frau fällt nach vorn, sie zuckt zusammen. Steht dann auf und beeilt sich. Fast hätte sie die Haltestelle verpasst. Es stimmt mich noch ein bisschen trauriger, als sie aussteigt und ich ihr durch das Fenster nachsehe, wie sie mit den Einkäufen und ihrer offenen Jacke ihrer Wege geht.
Lea De Gregorio
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