berliner szenen: Jeden Tag eine Stunde Joggen
Es ist Feiertag, ein stürmischer Morgen. Eigentlich zu stürmisch zum Joggen, denke ich. Bevor ich doch loslaufe. Als ich den Park erreiche, säumen herabgefallene Äste den Weg. Hier stehen Sportgeräte unter freiem Himmel. Mir ist zum ersten Mal danach, sie auszuprobieren.
Ich bewege meine Beine in Eisenhüllen, die über dem Boden hängen. Frage mich, ob ich das wohl richtig mache, als sich eine Frau auf den Beintrainer neben mir stellt. „Mache ich das richtig?“, frage ich sie. Die Frau bejaht, und während wir dort stehen und mit den Beinen baumeln, kommen wir ins Gespräch.
Sie erzählt, dass sie viel zu Hause sei und darum jeden Tag eine Stunde lang jogge. Ich sage, dass ich viel am Schreibtisch säße. Sie, dass sie viel esse, wenn es ihr schlecht gehe. Dass sie mit ihrer jüngsten Tochter aber gerade Diät mache. Und sich ärgere, dass die Fettverbrennung bei Jüngeren schneller in Gang komme als bei ihr. Dass sie traurig sei, weil bald alle Kinder aus dem Haus seien.
Als ich frage, wie viele Kinder sie habe, antwortet sie „sechs“ und verdreht ein bisschen die Augen. Sagt, sie sei allein. Ich sage: „Oh.“ Sie etwas von „Mann“ – mit Handbewegung nach hinten. Und erklärt mir dann, dass er eine junge Frau geheiratet habe. „Oh Mann“, sage ich – und nachdem wir kurz still waren: „Heute ist Frauentag!“ Sie erwidert: „Ich weiß!“ Wir lächeln uns an.
Ich sage, sie könne ja einen Neuanfang machen, wenn die Kinder weg sind, und dass es stark sei, dass sie jeden Tag jogge – bevor wir uns verabschieden und uns noch einen schönen Frauentag wünschen. Ich weiß nicht, ob ich es gut finde, dass er in Berlin zum Feiertag wurde. Getroffen hätten wir uns sonst aber nicht, überlege ich. Und beschließe, öfter zu joggen, auch mal werktags. Vielleicht sehen wir uns ja wieder.
Lea De Gregorio
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