berliner szenen: Eine Aura von Verderbnis
Im Vivantes-Krankenhaus in Britz ist alles noch so, wie es sein sollte. Ein weitläufiges Gelände, ein beruhigender Park. Hinweisschilder, damit man sich nicht verläuft. Das Hauptgebäude ist ein Funktionsbau aus den achtziger Jahren, mit hartem künstlichen Licht beleuchtet. Es gibt auch Deckenfenster, aber die Sonne war an diesem Tag zu schwach. Es war Anfang Januar, und irgendwo in der Nähe dampfte es aus dem Schornstein einer alten Backsteinkirche.
Die Menschen im Spital unterschieden sich in vier Kategorien: Es gab die Patienten, die Pflegekräfte, die sich in Raum- und Körperpflege unterteilten, und das medizinische Fachpersonal. Alle verhielten sich wie nach Vorschrift: Die Patienten schlurften in Trainingsanzügen und Pyjamas durch die Halle, saßen auf Bänken, warteten auf Termine, wechselten ein paar lose Worte, trotteten mit ihren Dialysen, ihren Blutwäscheflaschen durch die Flure in Richtung Ausgang, um draußen in der Kälte endlich eine zu quarzen. Strömten eine Aura von Verderbnis und Verfall aus, von Siechtum und letaler Inkubation. Man wollte sie keinesfalls berühren, auch nur irgendetwas mit ihnen zu tun haben, jedenfalls ich nicht. Ich war zur Nachuntersuchung in der neurologischen Abteilung da und wollte schnell wieder weg.
Die Raumpflegekräfte, meist weiblich, waren mürrisch oder lethargisch, dunkelhaarig und müde, sie wischten den Staub der menschlichen Existenz aus den Hallen. Eine Sisyphusarbeit.
Die medizinischen Pflegekräfte waren aufgeweckter, betriebsamer, sie hielten Kontakt untereinander und liefen in erhöhter Geschwindigkeit umher. Das medizinische Fachpersonal war nahezu unsichtbar, abwesend, und wenn es wie eine Sternschnuppe doch einmal zu sehen war, verschwand es rasch wieder hinter den Kulissen.
René Hamann
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