berliner szenen: Krass Bass im Brustkorb
Irgendwas ist mit meiner Stimme passiert. Ganz tief ist sie – so tief, dass ich mich erschrecke und den Mund gleich wieder zuklappe, als ich das erste Wort von dem gesagt habe, was ich sagen wollte. Viel war’s ohnehin nicht: „Zehn Euro.“
Aber dann klapp ich den Mund doch wieder auf, denn nur „Zehn“ zu sagen bringt zwar die Info rüber, um die es geht, aber so richtig nett ist es nicht. Und die Dame hier hat schließlich voll nett gefragt, was die Bettwäsche kostet, die ich grad kaufen will.
„Euro“, ergänze ich also und fühle erneut ungewohnt Bass im Brustkorb vibrieren. Voll auffällig ist das doch bestimmt!
Der Dame fällt nichts auf. Aber sie hat ja auch keine Ahnung, wie meine Stimme sonst so klingt. Ich selbst könnte das jetzt auch nicht in Tonart und Dezibel sagen; ich weiß nur: anders. Und auf einmal will ich sie noch mal hören, meine neue tiefe Stimme.
„Baumwolle“, sag ich. Und dann ist kein Halten mehr – ich labere los, dass die Baumwolle Bio ist, wie das Muster mir so gefällt, wie Textilien doch aber wohl teurer sein müssten, und mitten im Labern leg ich mir wie zufällig die Hand auf den Brustkorb. Es vibriert voll krass.
„Krass!“, rutscht mir raus.
Die Dame guckt irritiert, schüttelt den Kopf, und ich geh nach Hause, wo ich ohne Irritation und Kopfschütteln voll krass Bass vibrieren lassen kann. Und aufnehmen kann ich da auch. Gerade eben hab ich schon aufgenommen: die Feldenkrais-Stunde, in der wir was mit Brustkorb gemacht haben. Bestimmt deswegen vibriert’s da jetzt so, sprech ich massiven Bass. Ich hole das Mikro raus. Nur dann weiß ich nicht, was ich sagen soll, ohne dass es wie Selbstgespräch klingt. „Krass“, sage ich probeweise. Meine Katzen spitzen die Ohren. Hören sie zu? Bestimmt! „Krass. Bass. Bio. Bettwäsche. Zehn Euro. Krass das alles, denkt ihr nicht auch?“ Joey Juschka
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