berliner szenen: Die sitzen hier jeden Tag
Es ist Abend, blaue Stunde. Auf einem kleinen Platz in Wedding sitzen Kinder im Kreis. Neben einer grünen Brunnenanlage spielen sie „Ente, Ente, Gans“. Seelenruhig. Als hätte man ihnen gesagt, sie sollen.
Ihre Eltern sitzen auf einer Bank daneben, aber in eine andere Richtung gedreht. Haben die Kinder im Genick, als würden sie sie nicht sehen wollen. Und trinken. Wir sitzen auch auf dem Platz und essen Pizza aus Kartons. „Die sitzen hier jeden Tag“, sagt eine Anwohnerin neben uns. Sie meint die Eltern der Kinder.
Da unterbrechen die Kinder ihr Spiel. Sie nähern sich vorsichtig, stehen schließlich vor uns und wiegen schüchtern die Köpfe. Der Junge stellt die zwei Mädchen als seine Schwestern vor, die jüngere der beiden versteckt sich währenddessen hinter ihm. Sie hungern offensichtlich nach der Pizza, aber danach zu fragen trauen sie sich nicht. Als sie ein Stück angeboten bekommen, nicken sie zaghaft.
Ich frage das ältere der beiden Mädchen, ob sie nicht nach Hause ins Bett müsse, als sie mit einer Hand nach einem Stück Pizza greift. „Morgen ist keine Schule“, entgegnet sie verlegen und streicht sich mit der anderen Hand eine Strähne aus dem Gesicht. Sie hat recht, heute ist Freitag. Zum Essen stellt sie sich dann in den Schatten einer Laterne, als wollte sie sich verstecken. Wahrscheinlich haben die Eltern das Abendbrot vergessen, erklärt uns die Anwohnerin unterdessen.
„Wollen die Eltern sie nicht nach Hause bringen?“, frage ich sie. „Die Kinder bringen irgendwann die Eltern nach Hause“, entgegnet sie bloß. „Ente, Ente, Ente, Ente, Ente, Gans!“, klingt es in meinem Kopf noch nach, als ich später nach Hause gehe, während ich mich frage, was aus den Kindern einmal wird und wann die Flaschen der Eltern geleert sind.
Lea Diehl
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