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berliner szenenIch hatte also alles im Griff

Die ersten zwei Zähne gegen Mittag waren dann doch nicht so schlimm gewesen, und ich war erleichtert. Es war auch leicht surreal in der Hitze am Vormittag auf dem Ku’damm. Manche wirkten ein bisschen betäubt, andere hatten ganz knappe Sachen an; es war noch viel Zeit, und dann hatte ich die kieferorthopädische Praxis plötzlich nicht mehr gefunden. Es gab auch kleinere Baustellen auf dem Gehweg, zwei Sicherheitsleute in schwarzen Anzügen unterhielten sich vor einem Hoteleingang. Ich musste dringend auf Toi­lette und beobachtete meine leichte Panik, hatte also alles im Griff und fühlte mich später auch gut behandelt.

Alle waren verständnisvoll und sahen gut aus, und es machte mir Spaß, wenn auch nur als Patient, in diesem menschlichen Austausch zu stehen, also im Zahnarztstuhl zu liegen. Beim Gehen bedankte ich mich zu überschwänglich, was mir später ein bisschen peinlich war. Das letzte Mal hatte, glaube ich, der Chef gezogen. Nein, es waren, glaube ich, doch die gleichen. Und im Hintergrund lief RTL oder so, und beide hatten sich über ihren tollen Urlaub unterhalten.

Danach geh ich wie immer zu Saturn am Wittenbergplatz. Das Geschäft ist riesig und angenehm kühl. Ich staune über die riesigen Bildschirme. Auf einem etwa zehn Meter breiten „Fernseher“ läuft gerade ein Spiel zwischen RB Leipzig und FC Bayern. Das sind aber nur zwei Jungs auf einem Sofa vor der Fernseherlandschaft, die mit ihren Controllern das Spiel aufführen. Es steht 3:2. Beide sind etwa gleich gut. Ich würde auch gern spielen, kann aber eigentlich nur Autorennen und bin auch schon zu alt. Bei Lidl fühl ich mich wie ein Penner und achte dar­auf, den Mund nicht aufzumachen. Ich kaufe Wasser und Hühnerbrühe, kämpfe mich durch die Straßen und versuche, mir nichts anmerken zu lassen.

Detlef Kuhlbrodt

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