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berliner szenenHerzlich in die Arme schließen

Ausstellungseröffnung, leider zu voll. Vertiefung in die Kunst ist im Gedrängel schwierig, und ich tue auch nur so, als ich M. auf einer Flugbahn wahrnehme, an deren Ende ich mich befinde. Nur durch eine geschickte Drehung, die ich einer Ballerina in der Deutschen Oper abgeguckt habe, gelingt es mir, mich als Landungsfläche für eine heftige Umarmung auszuschließen. Ich strecke meine Hand zum Schütteln hin, die M. gerne annimmt. Der ­Vernissagenvino hat seine Wirkung getan.

Wer sich im Berliner Kulturbetrieb bewegt, wird immer öfter Zeuge solcher Begegnungen der physischen Art – wenn nicht deren Opfer. Rums, hoppel, schwank, zwei Berliner Kulturschranzen begegnen sich mit einem Glas Weißwein in der Hand bei der Eröffnung, der Premiere, der Party, und können gar nicht anders, als sich in die Arme zu nehmen, als hätten sie endlich ihren alten Trinkkumpan aus dem Zuchthaus in Nowosibirsk wiedergefunden. Wer will sich da nicht herzlich in die Arme schließen lassen? Der Museumsdirektor und die Kritikerin, die Kuratorin und der Blogger, der DJ und die Pressereferentin – bei der linkischen Umarmung sind wir alle aus demselben Holz und rammeln aufeinander zu wie zwei trunkene Schiffe. Wampen schmiegen sich ineinander, Brüste treffen auf Biertitten, Knoblauchatem und Weißweinfahne vermischen sich für einen überschwänglichen Gruß.

Doch morgen schon tragen wir unser Projekt ins Formular von Bundeskulturstiftung und Hauptstadtkulturfonds ein und hoffen auf einen „Bewilligungsbescheid“. Daher ist die Verabschiedung nach der wohligen Kollision eher schnöde: „Wir telefonieren.“ – „Ich melde mich.“ – „Lass uns das bei Gelegenheit vertiefen.“ Was wir dann nie tun, aber beim Abschied streicheln wir uns noch mal so komisch am Oberarm. Tilman ­Baumgärtel

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