berliner szenen: Flirten, Küssen, Kinder, Scheidung, Tod
Unterwegs in der heißen U7. An der Vierersitzgruppe neben mir fragt ein Zugestiegener die bereits dort sitzende junge Frau, ob er sich zu ihr setzen dürfe. Sie rutscht rüber zum Fenster, sie wechseln ein paar Worte, er lächelt nett und ist irgendwie flirty drauf.
Ich find das ja eigentlich ganz schön. In Zeiten, in denen das bürgerliche Feuilleton permanent zum Himmel jault, die Menschheit werde aussterben, weil Anbahnungsklassiker wie „Du hast ’nen geilen Arsch – darf ich mal anfassen?“ von schwanzlosen Tugendwächtern geächtet werden, wollte man schon vom Glauben abfallen.
Doch natürlich funktioniert alles weiterhin so, wie es immer funktioniert hat: Flirten, Küssen, Kinder, Scheidung, Tod.
Denn die Frau geht durchaus auf die Minne unseres ambulanten Blitzverehrers ein. Anscheinend hat sie schlicht noch nichts gemerkt. Der leichte Zug, der vom Kippfenster ausgeht, weht offenbar mehr in meine Richtung. Der Buhle in spe stinkt nämlich mordsmäßig. Als hätte man ein schwitzendes Stinktier durch eine Tupperdose mit Nudeln gezogen, die man drei Monate im Kühlschrank vergessen hat. Führt hier eigentlich noch Selbstbewusstsein die Figuren auf dem Schachbrett seines frisch eröffneten Liebesspiels, oder ist es schon der Irrsinn, der den ungedeckten Bauern nach der Dame greifen lässt?
Aber vielleicht steht sie ja auch drauf. Weil sein biologischer Schlüssel perfekt in ihr Schlüsselloch passt. Hihi. Reinstecken und so. Höhö.
Mein innerer Vierzehnjähriger kichert haltlos, bis er von meinem inneren Fünfzigjährigen an die Tafel gerufen wird. Da wird das Früchtchen kleinlaut angesichts der Algebraaufgabe, die da lautet: Viel hilft viel und viel im Quadrat hilft viel im Quadrat. Wenn beider Pheromone eh schon matchen, ist es dem Werben sicher zuträglich, wenn er trotz der Hitze nie das Hemd wechselt.
Uli Hannemann
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