berliner szenen: Olé, in Kürze erreichen wir den Kotti!
Als ich in den überfüllten Bus steige und höre, wie jemand über Lautsprecher ein Liebeslied singt, denke ich zuerst: Da hat sich eine Partygesellschaft eine mobile Karaokebar besorgt und fährt mit Flaschenbier und Soundsystem durch Kreuzberg – immerhin ist es Freitagabend und der Bus zwischen Schlesi und Kotti als Ersatzverkehr für die U1 unterwegs.
Aber als die Fahrgäste applaudieren, merke ich, dass es sich bei dem Sänger um den Busfahrer handelt. Der kündigt auch schon den nächsten Halt an, als wäre er ein Zirkusconferencier: „Und gleich kommen wir zuuum … Görliii! Ja, meine Damen und Herren, am Görli ist es schön! Göööörrrlii!“, brüllt er ins Mikro, und alle lachen sich kaputt. So wie ich müssen die neu Zugestiegenen immer erst kapieren, was los ist. Dann sind alle in Freude vereint.
Ich war müde von der Arbeit, hatte einen Termin in Friedrichshain, wusste nicht, dass wieder Pendelverkehr ist und wollte nur noch nach Hause. Doch der singende Fahrer rettet meine Laune, bringt mich zum Lachen und lässt mich gespannt auf die nächste Ansage warten. „Sehr geehrte Fahrgäste, in einigen Sekunden erreichen wir: den Kotti!“, sagt er jetzt und singt wieder, diesmal im Fußballhymnenstyle: „Olé, olé, olé, olé, Kottii, Kottiii!“
Schweren Herzens muss ich am Kotti aussteigen, um die U8 zu nehmen. Als ich einer Freundin davon erzähle, sagt sie, dass sie dasselbe Entertainment auch erlebt hat, in Zeiten des U7-Pendelverkehrs am Hermannplatz. „Ja, er war ganz lustig“, meint sie. Aber dann sei jemand mit Falafel eingestiegen, und der Fahrer sei zu ihm gegangen und habe ihn aufgefordert, wieder auszusteigen. „Essen im Bus ist verboten, hat er gesagt, ohne jeden Witz.“ Ich bin enttäuscht und versuche die Freundin davon zu überzeugen, dass das nicht sein kann. In einer Stadt wie Berlin gibt es bestimmt mehr als einen singenden Busfahrer. Luciana Ferrando
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