berliner szenen: Geschichte vom kleinen E
Zwei Monate lang war das kleine E von der Tastatur schon kaputt. Nicht richtig, aber es machte Probleme. Erst war es schief. Wenn man es drückte, was ja dauernd passierte, kippte es nach links und gab rechts den Blick auf seine Eingeweide frei. Mit vollendeter Feinmotorik brachte ich es wieder in Ordnung und produzierte dabei einige e-Reihen, die ich danach wieder löschte. Das passierte immer häufiger, und irgendwann löste es sich ganz aus seiner Halterung. Wo eben noch das kleine E gewesen war, war nun ein kleiner Nippel, ein nacktes e ohne Zeichendach.
Ein paar Wochen bemühte ich mich, ganz behutsam zu tippen. Aber irgendwann nervte es mich dann doch zu sehr. Man wollte etwas schreiben – und war nach drei Sätzen schon fertig mit den Nerven. Ich scheute mich, das e zu berühren, und benutzte ein paar Tage eine Tastatur von 2007, die ich an den Laptop anschloss.
Das Schreiben war aber nicht mehr dasselbe. Deshalb verließ ich meine Wohnung und ging in die „EDV“. Die EDV ist ein geheimnisvoller Ort. Der Kollege überlegte kurz und baute dann das E eines kaputten Laptops aus und setzte es bei mir ein. Ich war sehr glücklich, aber leider hielt das auch nicht lange.
Ich fragte den Apfelfreund, ob er mir ein billiges E besorgen könne. Er erklärte, dass es zwei unterschiedliche Typen meines Modells geben würde. Ich ermittelte das meinige. Und als wir am nächsten Tag telefonierten, erwähnte ich das kleine E und freute mich, dass er stutzte und nicht wusste, was ich wollte.
Ich bestellte das E dann bei eBay. Es kostete das Dreifache von dem, was man für ein W hätte anlegen müssen. Der Kollege von der EDV baute es schnell ein. Nun geht alles wieder. Gerade merke ich, dass das alles ein bisschen klingt wie diese groteske Baumarktreklame.
Detlef Kuhlbrodt
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