berliner szenen: Es wird ruhig im Waggon
S 25 Richtung Hennigsdorf, abendlicher Berufsverkehr. Mir gegenüber zwei gutaussehende Enddreißiger, neben mir ein sehr junger Mann in blauer Arbeitshose und großer Tasche. Er wirkt unbeholfen und hustet auffällig. Kurz vor Humboldthain sagt er plötzlich laut: „Entschuldigung, heißen Sie zufällig Daniel Rabe?“
Alle Köpfe gehen hoch. Es dauert etwas, bis die beiden Männer kapieren, dass einer von ihnen gemeint ist. „Nee“, sagt der eine und steigt aus. „Ich auch nicht“, sagt der andere. „Komisch“, wundert sich der Junge, „der sah genau so aus wie mein ehemaliger Betreuer.“ Er wirkt nun abwesend.
Erst das „Zurückbleiben“ an der nächsten Station reißt ihn aus seinen Gedanken. Er springt auf, rennt ohne seine Tasche zur Tür, merkt es, rennt zurück. Da gehen die Türen zu. Der Junge sprintet durch den Waggon und zieht die Notbremse. „Idiot, was soll das denn?“, herrscht ihn ein Mann an, der an der Tür steht. Alle schauen hoch. „Verdammt, das war ein Fehler“, sagt der Junge. „Da hab ich was falsch gemacht.“ Die Sätze klingen wie einstudiert. „Ich dachte, da drüben fährt mein Zug.“
Er tut mir leid. Die Türen sind jetzt blockiert. Der Junge kommt mit dem Mann an der Tür ins Gespräch. Dann eine Durchsage: „Die Weiterfahrt verzögert sich.“ Die Stimmung im Waggon ist entspannt. Man unterhält sich oder spielt Handy. Keiner meckert. Plötzlich taucht ein Mann mit gelber Weste auf und versucht, die Tür zu entsperren. Laut fragt er: „Hat jemand gesehen, wer das gemacht hat?“
Ich atme tief durch. Es wird ganz ruhig im Waggon. Dann sagt der Mann an der Tür klar und deutlich: „Nee, das hat hier keiner mitgekriegt.“ Erneut eine Durchsage: „Wegen Vandalismusschäden wird dieser Zug ausgetauscht“. Alle steigen ohne zu murren aus. So kann Berlin auch sein. Gaby Coldewey
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