berliner szenen: Trinken, weil ich nicht tanzen kann
Tanzen!, denke ich und google Tanzkurse, die ich sofort nach Feierabend probehalber besuchen könnte. Ich finde einen am Hermannplatz, irgendwas mit „poetischem Körper“ und Improvisation. Es klingt kitschig, aber genau richtig. Da es für eine Anmeldung sowieso zu spät ist, beschließe ich, einfach vorbeizuschauen und zu fragen, ob ich mitmachen kann.
Ich beeile mich auf dem Weg zur Tram, trotzdem fährt sie mir vor der Nase weg. Also laufe ich so schnell wie möglich den Weinbergsweg runter zum Rosenthaler Platz. Auf die U8 muss ich sieben Minuten warten. Es wird immer knapper. Punkt acht bin ich am Hermannplatz, renne zur Tanzschule, komme trotzdem zehn Minuten zu spät. Die Tür ist schon geschlossen, durch die großen Fenster in der zweiten Etage sehe ich Menschen, die sich bewegen, mal wild, mal sanft, und ab und zu an der Fensterbank aus kleinen Wasserflaschen trinken. Niemand sieht nach unten in meine Richtung, warum auch?
Ich stehe ohne Schirm im Regen und traue mich nicht zu klingeln, aber will auch nicht gehen. Ich stehe einfach da, rauche eine Zigarette und schaue mir die Menschen an, die da oben ohne mich so schön tanzen. Nächstes Mal, sage ich mir, weiß aber, dass ich nie wiederkommen werde. Ich schicke eine SMS an mehrere Leute: „Bist du zufällig in Neukölln?“ Es kommt nur eine Antwort, die ich erst für einen Witz halte: „Sorry, bin in Lettland“, schreibt eine Freundin, die spontan der Liebe hinterhergereist ist. Ich komme am Neuen Off vorbei und denke kurz, der Abend sei gerettet. Doch der nächste Film läuft erst in einer Stunde, auf Englisch ohne Untertitel. Ich gehe in meine Stammkneipe und bestelle ein Weizenbier. Ich mache die Kerzen an, schlage mein Heft auf und schreibe „Ich trinke, weil ich nicht tanzen kann“ als ersten Satz.
Luciana Ferrando
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