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berliner szenenWoanders ist alles so schön easy

Die Frau im Pausenraum der Neuköllner Oper ist sehr laut – ich kann leider nicht verhindern, dass ich mithöre. Sie schwärmt ihren Begleitern von Australien vor.

Als ich fünf oder so war, konnte ich mich auch noch richtig begeistern, das ist ja auch schön. Aber leider transportiert sie ihre Euphorie nur über das Negativ. Und das heißt Deutschland. Ich erwarte ja gar nicht, dass sie mal mit so einem weißen Busch-Bogan über die australische Einwanderungspolitik diskutiert. Hillbillys gibt es überall. Doch anstatt Land, Leute und Mentalität dort unten zu loben, nölt sie in erster Linie darüber, wie beschissen hier alles ist: „Beschissenes Land“, sagt sie, „beschissenes Wetter“, mault sie, „beschissene Leute“, greint sie, „beschissene Stimmung“, konstatiert sie.

Meine Stimmung war bis eben eigentlich noch sehr gut, doch ihre schlechte steckt mich zunehmend an.

„Die haben da alle so ’ne Surfer-Mentalität“, sagt sie. „Da ist alles easy. Kommst du heute nicht, kommst du morgen.“ Alle? Na ja, ich weiß nicht. Es ist typisch deutsch, wie sie das Woanders-schöner-besser-easyer verkauft.

Es ist auch typisch deutsch, dass ich das merke, wie typisch deutsch das ist, nicht typisch deutsch sein zu wollen und es gerade dadurch doch zu sein. Und ebenfalls typisch deutsch ist es, dass ich darüber sinniere, wie typisch deutsch es wiederum von mir ist, dass ich das typisch Deutsche an meinem Urteil erkenne, ihre Tirade typisch deutsch zu finden. Nicht zuletzt ist es typisch deutsch, auch an sich selbst als typisch deutsch zu diagnostizieren, dass man intensiv reflektiert, wie typisch deutsch man es von sich findet, es für typisch deutsch zu halten, dass man es als typisch deutsch empfindet, wie sie sich hier verhält: nämlich typisch deutsch.

Ich glaube, wir grübeln alle zu viel. Uli Hannemann

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