berliner szenen: Der Kampf im Kopf beginnt
Der Friedrichstadtpalast am Abend. Es blinkt und glitzert, dazu drängt und staut sich alles im Foyer. Die Innenarchitektur erinnert an ein großes Kaufhaus. Auch die Deko entspricht haarscharf dem Karstadt-Geschmack. An diesem Abend treten 16 junge Sängerinnen und Sänger im Rahmen eines Wettbewerbs der Kategorie Chanson und Musical im Unterhaltungspalast auf. Welcher Ort wäre besser geeignet? Ich sitze neben meinem Vater und seiner Frau in der siebten Reihe. Die Show beginnt mit der 17-jährigen Marie. Prompt beginnt eine vierköpfige Gruppe vor uns sich fachmännisch über die Sängerin und ihre Performance auszutauschen. Ich hoffe inständig, dass das Gerede und Gelache sich im Laufe der nächsten Minuten legen wird. Leider nicht.
Meine Konzentration ist hin und ebenfalls die leichte Entspanntheit, die ich noch vor ein paar Minuten genossen hatte. Der Kampf in meinem Kopf beginnt. Ich kenne ihn schon aus Uni-Vorlesungen, dem Theater oder aus dem Kino. Sage ich etwas oder ist das nicht eigentlich doch übertrieben und ein bisschen spießig? Marie hat wohl einfach das Pech, keine Opernsängerin geworden zu sein. Denn wer traut sich das in der Oper? Meinem Vater wurde einmal in Bayreuth von einer betagten Dame in der Reihe hinter ihm deftig in die Schulter geboxt. Später erklärte sie entschuldigend, sie sei ein derart großer Wagner-Fan, dass sie auch nur das leiseste Getuschel nicht ertragen könne.
Eigentlich würde ich jetzt gerne dasselbe tun. Stattdessen erbarmt sich meines Vaters Frau und weist unsere Nachbarn mit entwaffnender Freundlichkeit auf deren Unhöflichkeit hin. Man lächelt sich an und nickt. Nach der Pause setzen wir uns um. Ich spähe zu unseren ehemaligen Plätzen. Unsere lauten Nachbarn haben dasselbe getan.
Marlene Militz
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