piwik no script img

berliner szenenFrieden in der Bierfalle

Krieg geht los

Ich habe Besuch, und der Krieg geht los. Was macht man mit Besuch, wenn Krieg ist? Eigentlich hatten wir geplant, ins Kino zu gehen, jetzt sitzen wir doch alle wieder vor der Glotze. Andererseits ist es doof zu Hause, also gehe ich mit G. schon mal los, um eine Kneipe im Viertel zu finden, in der es einen Fernseher gibt. Es gibt aber keinen in unseren Kiezkneipen, nicht bei Latschenpaule und auch nicht bei Max und Moritz. In der Premierenkneipe gucken sie „Staatsfeind Nr. 1“ auf RTL. Endlich finden wir eine, die Bierfalle, hier läuft n-tv, wir rufen den Besuch an, damit er nachkommt, und bestellen Bier. Die Wirtin lässt sich nicht überreden, den Ton laut zu drehen. Also lesen wir die Nachrichtenzeilen unten im Bild, die untere ist aber von unserem Tisch aus zu klein. Überm Fernseher hängt ein Bild von Honecker, auf dem steht: „Ich bin schuld an allem“, überm Klo ein Poster eines alten Fünfzigmarkscheins. Als unser Besuch kommt und Schwarzbier ordert, rät die Wirtin ab, das wäre ein Restposten vom Ossifest am Mittwoch, das würde ihr persönlich gar nicht schmecken. Inzwischen läuft ganz laut eine Best-of-Udo-Lindenberg. Erst „Horizont“, dann „Bitte keine Lovestory“, mein Lieblingslied, und dann „Wozu sind Kriege da?“ von 1982, in dem ein Junge singt: „Herr Präsident, ich bin jetzt zehn Jahre alt, und ich fürchte mich in diesem Atomraketenwald.“ Wir erinnern uns, dass wir damals so alt waren wie dieser Junge und oft Angst hatten vorm Krieg. Wir fürchteten uns, dass er nächste Woche auch bei uns losgehen könnte. Besonders nach Tschernobyl, als wir Bücher wie „Die Wolke“ von Gudrun Pausewang lasen. Irgendwie holt uns dieses Gefühl von damals jetzt ein bisschen ein. SUSANNE MESSMER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen