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berliner szenenClean am Hermannplatz

Stoiker unter sich

Der Hermannplatz ist der lauteste Platz Berlins. Trotzdem sehe ich hier immer Leute sitzen und sich ausruhen. Sie lassen sich durch nichts stören. Jedenfalls sind sie wohl die abgebrühtesten Stoiker, die diese Stadt zu bieten hat. Heute hörte ich im Vorbeigehen dem wütenden Monolog eines offenbar mittellosen Mannes zu. Er zeigte sich nicht im Geringsten eingeschüchtert. Schrie die drei Köpfe größeren Polizisten um ihn herum in einer mir leider unverständlichen Sprache an. Spuckte vor ihnen aus und erntete Gelächter dafür. Dann wurde er abgeführt.

Ich ging weiter, denn ich wollte im Waschsalon in der Nähe waschen. Drinnen war es grell wie immer, und die Waschmaschinen machten dieses unbeschreibliche Geräusch, das einen aufs Lesen einstimmt oder aufs Starren in die Wäschetrommel. Schon floss das Pulver unten aus der Luke. Das Leuchtfeld am Automaten blinkte. Waschmaschine Nr. 21 würde gleich loslegen. 40 Minuten waschen und schleudern. 40 Minuten absinken, wegtauchen, umspült sein von weißen Schaumwellen, unter sengenden Sonnenstrahlen, in tosender Brandung um sein Leben kämpfen. Ich hielt den Atem an. Meine Nachbarin faltete gedankenverloren Bettwäsche zusammen. Sie benutzte die Nr. 20. Sie hatte eine rote Schlaufe im Haar und trug dazu eine altmodische Brille mit dicken Gläsern. Ich stand vor dem Automaten und konnte nicht sehen, wo der Fehler lag. Sie hätte längst anfangen müssen. Sie hätte sich längst bewegen müssen. Aber sie rührte sich nicht. Bis ich oben auf der Ablage einen winzigen Pappzettel entdeckte, der mit Tesafilm festgeklebt war. „Diese Waschmaschine bitte zur Zeit nicht benutzen“ stand darauf. Draußen war schon Blaulicht zu sehen.

MATHIAS ECHTERHAGEN

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