: berliner szenen Kollektiv-Energie?
Streik verpasst
Nach sieben Wochen zurück in Berlin wundere ich mich, dass die Autos Berliner Nummernschilder haben. Die Menschen auf der Straße sind so hübsch, und es kommt mir künstlich vor, wie für einen Filmdreh, wie sie über fremde Sprachen und wieder gefundene Brüder sprechen. Die Plakate an den Wänden sind immer noch dieselben und erinnern mich daran, dass ich ein bestimmt gutes Konzert verpasst habe. Aber mehr noch ärgere ich mich darüber, den Streik verpasst zu haben.
Im Ausland stellte ich mir vor, wie alle durch die Straßen spazieren. Glücklich, weil sie beim Laufen die Stadt wieder sehen und am Abend einfach zu Hause bleiben, anstatt irgendwohin zu müssen. Vielleicht steigt demnächst ja sogar die Geburtenrate, dachte ich mir. Ein Freund erzählte, wie er beim Laufen durch die Stadt einfach die hübsche, fremde Frau ansprach und drei Stunden mit ihr verbrachte. Man muss halt rausgehen, um aus sich rauszugehen. In meiner Fantasie stellte ich mir auch die American-Apparel-Dauerkunden vor, die die neue, coole Solidarität ausprobieren und zu den Streikposten gehen, um selbst aufgenommene Mix-CDs, selbstgemachte Couscous-Salate und Sektpullen an die Busfahrer in ihren albernen Plastik-Überhemden zu verteilen. Als die H&M-Mitarbeiter auch anfingen zu streiken, wäre dann das Verständnis wahrscheinlich mehr oder weniger vorbei gewesen. Aber zumindest wären die Taxifahrer nicht mehr grummelig.
Ich verpasse bestimmt eine wahnsinnige Kollektiv-Energie verpasst, dachte ich mir, ein bisschen so wie bei der Wende, die ich ja auch schon verpasst habe. Die Hoffnung war, so ein kleines Gemeinsamkeitsgefühl an Ostern nachzufühlen. Stattdessen war alles komisch leer. LAURA EWERT