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berliner ökonomieDie Freuden und Leiden eines Kleinveranstalters

Essen, Bier, Mettwurst

Für mich begann es relativ harmlos. Im Schokoladen in Berlin-Mitte schaute ich mir 1995 eine Veranstaltung an, die so angenehm war, dass ich mitwirken wollte. Es waren einfach Musiker und Autoren, die ihre heiteren Texte und nachdenklichen Lieder vortrugen, Sarah Schmidt, Manfred Maurenbrecher, Hans Duschke, Bov Bjerg, Jürgen Witte und Michael Stein. Sie alle arbeiten auch heute noch im Lesebühnengeschäft.

Die Macher der noch sehr jungen Reformbühne Heim & Welt ließen mich sogar mitwirken, das war keinesfalls selbstverständlich. Denn im Anschluss wurde im Publikum gesammelt und der Betrag durch die Zahl der Anwesenden geteilt, das waren zwischen 10 und 20 Mark pro Nase. Jeder weitere Mitwirkende schmälerte die Einnahme empfindlich.

Standardspruch beim Sammeln war: „Wir halten einen Betrag im Wert einer Kinokarte für angemessen, und heute ist nicht Kinotag.“ Aber dem Publikum war das egal. Viele hielten tatsächlich eine Mark für adäquat, andere gaben nichts, und so wurde irgendwann Eintritt beschlossen: 5 Mark, was die Gesamteinnahmen verdoppelte. Das spielte für mich eine wichtige Rolle, 20 Mark reichten für einen großen Einkauf, aber klar war, richtig Geld war so nicht zu verdienen.

Das Mittwochsfazit hatte vorgemacht, wie man es anstellen konnte, nämlich durch weniger Mitwirkende, genauer durch drei. Das sollte das Prinzip der Veranstaltung „Auf hoher See“ sein, es waren Ahne, Hans Duschke und ich plus 2 Musiker der Combo „Auge mit Hering“.

Die Veranstaltung ließ sich nach einigen Anfangsschwierigkeiten gut an. Der Höhepunkt war immer, wenn Ahne von hinten auf die Bühne stürzte, das Gesicht dick mit Teewurst eingeschmiert, später auch mal Zwiebelmettwurst, was im Publikum zu enthusiastischen Reaktionen führte. Solange wir diesen Publikumsrenner dabei hatten, hatten wir eine erfolgreiche Veranstaltung. Doch Ahne bekam Hautprobleme, dicke Pickel im Gesicht überall dort, wo er Wurst hingeschmiert hatte, dass wir diesen Programmpunkt streichen mussten. Eine Reise nach China nutzten die Kollegen aus, eine neue Show zu konzipieren: Die Surfpoeten, Literatur und Tanzen.

Ich machte mit wechselnden Partnern als „Radio Hochsee“ weiter, seit jetzt fast 2 Jahren mit dem Musiker und DJ Doc Schoko. Der erfolgreichste Abend war der über LSD, ich hatte einen Filmausschnitt von Bruno Kunter aus Dresden ausgeborgt, der den Entdecker Albert Hoffmann mit dem circa 100-jährigen Ernst Jünger zeigte, wie sie sich über Dosierungen und Trips unterhielten.

Mein Kompagnon Doc Schoko hatte auch ein Video, in dem Hoffmann seine Fitness am Barren präsentierte. Dr. med. Jakob Hein war der nicht ganz unumstrittene Experte, weil er warnte und eigene Erfahrungen mit der Substanz bestritt.

Ein anderer sehr gut besuchter Abend war wirtschaftlich ein kompletter Reinfall, und das kam so: Wenn Frauen in ein Lokal kommen, da war ich ganz sicher, dann würden sich die Männer von ganz allein einstellen. Das war doch so gewiss wie das Amen in der Kirche.

Frauen zogen Männer an wie Fliegen, nein, wie Motten das Licht. Und so plante ich einen Themenabend Frauen, zu dem Frauen freien Eintritt haben sollten. Das, da hatte ich keinen Zweifel, käme durch die reichlich vertretene Männerwelt allemal wieder herein.

Dummerweise hatte ich zur Illustration des Flugzettels das berühmte Gemälde „Der Ursprung der Welt“ von Gustave Courbet (1819–1877) verwendet, dem Begründer des Realismus. Nun wies mich der Betreiber des Kaffee Burger darauf hin, dass dieser Flyer von einer größeren Gruppe gewaltbereiter Frauen zum Anlass genommen würde, mir an diesem Abend „den Schwanz abzuschneiden“. Obwohl ich dadurch sicher berühmt werden würde, schien mir eine solche Reaktion übertrieben. Ich bemühte mich, es als einen unbegründeten Scherz des Wirtes zu begreifen, aber eine Urangst bemächtigte sich meiner, und ich sah dem nahenden Themenabend „Frauen“ mit sehr gemischten Gefühlen entgegen.

Der Abend wurde jedenfalls ein voller Erfolg, wenn auch leider nicht finanziell. Das ganze Kaffee Burger war voll, aber nur voll Frauen, die keinen Eintritt zu zahlen brauchten, nicht ein einziger Mann war dabei.

Die Pleiten mit „Radio Hochsee“ überwiegen noch, aber ich bilde mir eine positive Tendenz ein. Für den John-Waters-Abend borgte ich mir für 100 Mark Videos aus der Videothek, zeigte unter anderem die Szene, in der erstmalig in der Geschichte des Films ein Transvestit Hundescheiße isst. Doch trotz diesem und anderen Höhepunkten lagen die Einnahmen an diesem Abend bei 50 Mark, ich hatte also 50 Mark Minus. Immerhin kann inzwischen meist das Arbeitsessen vor der Vorstellung von den Einnahmen bezahlt werden. Und so muss ich es wohl auch sehen: Einmal in zwei Wochen gut essen, danach viel Bier und außerdem angenehme Gesellschaft. Die meisten, die ich kenne, müssen dafür mehr bezahlen als ich.

FALKO HENNIG

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