berlin viral: Pandemische Hobbys
Früher waren unsere Wochenenden wenig planbar. Mit einem Mann in der Gastronomie und wöchentlich wechselnden Arbeitszeiten, immer am Samstag, oft bis spät in die Nacht, waren klassische Wochenendunternehmungen nicht wirklich realistisch. So lassen sich weder Ausflüge noch Theaterbesuche oder gar Essenseinladungen im Voraus festmachen. Hatten wir doch mal was vor, musste dies mit dem Dienstplanersteller lange im Voraus diskutiert werden.
Jetzt ist das anders. Mein Mann ist seit Monaten in Kurzarbeit und immer zu Hause. Im Sommer waren so plötzlich Fahrradtouren bis spät in den Abend möglich. Jetzt ist es kalt und die Wochenendplanung wird schwieriger.
Erstaunlicher Weise haben wir ganz neue Dinge entdeckt. Die so neu aber vielleicht gar nicht sind und mich stark an meine Kindheit in den 1970er Jahren erinnern.
Manchmal tun wir Dinge, die wir viele Jahre aufgeschoben hatten. Letztens zum Beispiel haben wir an einem Samstag die Kindergarderobe abgeschraubt. Das Kind ist fast 1,80 Meter groß und braucht definitiv keine tiefer gehängten Kleiderhaken mehr. Aber die Wand ist nicht wirklich stabil, jedes Bohrloch ist ein Abenteuer und kann sich schnell zu einem Krater auswachsen. Wir hatten das schon mal probiert und mussten das riesige Loch dann mit einem Aufkleber abdecken. Na ja, und dann lässt man es halt bei dem einen Versuch. Sie kennen das.
Aber jetzt haben wir es doch geschafft. Garderobe abschrauben, Haken und Dübel raus, Löcher verspachtelt, zwei neue Löcher weiter oben gebohrt, Dübel, Haken – zack, fertig. Und weil darunter alles so schäbig aussah, hab ich schnell noch mal die Wand neu gestrichen. Alles in allem drei Stunden Arbeitsaufwand.
Am Sonntag schien die Sonne. Mit unserem neuerworbenen Buch „Wildfrüchte“ machten wir eine Radtour an den Stadtrand, um Schlehen zu pflücken. Die brauchen zwar eigentlich Frost, aber man kann sie überlisten. Ich hab sie für ein paar Tage ins Tiefkühlfach gelegt und dann zu Gelee eingekocht. Davor hatte ich schon Sanddorn und Hagebutten gesammelt und verarbeitet.
Man wird ja bescheiden in Pandemiezeiten. Noch darf man raus, selbst abends spät. Aber wer will das schon? Es ist kalt und dunkel und alles ist zu. Selbst das Kind kommt auf ganz neue Ideen. In den Herbstferien ist ihm sein Handy aus der Tasche gefallen. Es war sofort kaputt. Wir hätten über die Versicherung mit etwas Aufwand ein neues bekommen können, aber er wollte nicht. Stattdessen hatte er sich innerhalb von 24 Stunden ein 30-Euro-Tastentelefon besorgt. „Man hat irgendwie viel mehr Zeit ohne Smartphone“, dozierte weise der 14-Jährige. „Mattis hat auch keins. Der sitzt zu Hause in seinem Lesesessel und hört Jazzplatten.“ Ja, und er liest, ergänze ich in Gedanken. Denn so weit ist der Pandemiefrust dann doch noch nicht gediehen, dass mein Sohn freiwillig zum Buch gegriffen hätte. Aber wir nähern uns an.
Am Sonntagabend kam er „von draußen“ zurück. Also von irgendwo aus der Stadt. In der Hand ein dickes Buch. Ich war verwirrt. „Was ist das denn?“, fragte ich dennoch. „Na, sieht man doch! Hab ich in einer Kiste gefunden, sah spannend aus. Ich habe mit Mattis gewettet, dass ich es in drei Tagen durchlese.“ Es war Krimi von Francis Durbridge aus den 1960er Jahren. Jetzt fehlt nur noch der Plattenspieler. Gaby Coldewey
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