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■ berlin spinntAm Arsch vorbei

Das Berliner Nachtleben ist gnadenlos. Kracher von einst verenden schnell als schlappe Lacher. Jetzt erwischte es die Wahl zum „Arsch des Jahres“. Und dabei hatte der „Arsch der Ärsche“, wie sich Bernward Büker nennt, eine wahrlich glänzende Idee. Warum nicht das im Bezirk Mitte erprobte Protest-Happening „gegen das Gesicht des Jahres und den Körperkult“ mal in die Plattenbauten exportieren? Ja, warum nicht ein wenig „Comèdia dell'arte und Molière pur“ zwischen Golf GTI-Fahrern, Goldkettchen und Marzahner Abiturienten in einer Disco gleich neben der Autowaschanlage?

Akt eins: Im „Tollhaus“ sucht Büker, der als Sänger einer Neuen- Deutschen-Welle-Band mal halbwegs bekannt war, zwischen kurz Geschorenen in weißen Polohemden nach Freiwilligen. Aber keiner will den nackten Hintern durch eine der aufgebauten Klobrillen stecken. Nicht zum Protest, nicht zum Spaß, nicht für eine Reise nach London. Nichts zu machen. Also gehen gedrillte Discoanimateure ans Werk: Ratz-fatz zerren und schleifen sie die Freiwilligen herbei. Auch Erik, 18, aus Marzahn muß aufs rollende Kandidaten-Klo. „Hose runter“, lautet der Befehl aus dem Megaphon. Dann ein Foto. Und schon ist der erste Kandidat gefunden. Er hält das Polaroid hoch zu seinen Kumpels aus dem Fußballclub Warthenberg und ruft: „Hey, ick habe einen knackigen Hintern und kokosnußgroße Eier“. Ein schöner Protest gegen den „Körperkult“.

Akt zwei: Bernward Büker fragt in die Menge: Seid ihr bereit? „Allzeit“, murmelt mein Nachbar. Ansonsten: Schweigen. Aber Amüsement wird schließlich nicht in Lautstärke gemessen. Und los geht's. Hintern Nr. 1 reckt sich aus der linken Klobrille in der „Spanischen Wand“ an der Tanzfläche. „Etwas haarig, was?“ ruft Büker. Schweigen. Olli, der zweite Moderator, eilt zur Hilfe. Olli weiß, wie man die harten Jungs aus den Plattenbauten anheizt. Das hat er bei Trinkspielen gelernt. Jetzt ruft er irgendwas wie „Homos, Vaginas und Feuchtkondome“ in die Menge. Schweigen. Ein Stammgast mit Goldkettchen rümpft die Nase: „Heute ist das ja etwas niveaulos hier.“

Akt drei: Das Grand Final. Zwei Uhr nachts, die ersten gehen nach Hause, Zeit für die Geheimwaffe: Eine Nackttänzerin in Motorradstiefeln springt auf die Bühne und spuckt Feuer. Drei von zweihundert Typen pfeifen. Eigentlich wollten sie lieber „Tretboot in Seenot“ und „99 Luftballons“ hören. Aus Höflichkeit klatschen sie ein wenig. Fix nutzen die Moderatoren das Stimmungshoch, lassen den Sieger-Arsch wählen, köpfen einen Champagner und besudeln die Gewinnerin. Angewidert wischt sich Nummer 15 den Sekt weg. Schwamm drüber. Christian Haase

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