berlin buch boom Klaus Bädickers heillos bunter „Vorstadtsalat“: Armes Mitte, arme Pferde
Mitte hat Konjunktur. Mitte ist das Synonym für das neue, junge und hippe Berlin. Zum Verdruss der „alten“ Bewohner des Viertels, die heftig gegen die „Neue Mitte“ opponieren. Trotzig erzählen sie von den Zeiten ohne Bad und mit Außenklo. Einen Beitrag zur Nostalgiewelle gibt es auch von Klaus Bädicker. Hauptberuflich ist er bei einer Wohnungsbaugesellschaft in Mitte tätig, nebenbei hat er in Eigenarbeit sein Buch „Vorstadtsalat“ herausgegeben.
„Vorstadtsalat“ ist eine Zusammenstückelung aus Bildern und Texten über die „Spandauer und Rosenthaler Vorstadt in Berlins Mitte“ im letzten DDR-Jahrzehnt. Wild über die Seiten verteilt finden sich Schwarzweißfotos in allen Größen. Sie zeigen die Gegend zwischen Torstraße, Rosenthaler Straße und den Hackeschen Höfen, bevor sie im neuen Gewand zum Ziel von Touristengruppen geworden ist. Es ist Bädickers Konzept, Alt und Neu nicht einander gegenüberzustellen. Er lädt seine Leser ein, sich selber auf einen Rundgang zu begeben und zu überprüfen, was mit den Bildern im Buch noch übereinstimmt.
Also schaut man sich erst mal selber um. Viele der Fassaden, die auf Bädickers Bildern bröckelig, brüchig und heruntergekommen aussehen, sind saniert und mit neuer Farbe aufgepeppt. Lücken schließen sich durch Neubauten, die sich nicht zwischen die alten Gebäude einreihen. Das Café Hackbarth hat noch denselben Schriftzug wie die ehemalige Bäckerei Hackbarth an dieser Ecke, auch die Plattenbauten, die in Bädickers Bild im Hintergrund zu sehen sind, stehen unverändert. Auch hier ist die Fassade renoviert. Bädicker hat selbst den Bürgerprotest in der Mulackstraße in Fotos festgehalten: „Wer mir den Arbeitsraum nimmt, nimmt mir den Lebensraum“, heißt es auf einem Transparent am Haus von Ursula Wünsch. Sie hat sich durchgesetzt. Das Haus steht noch, heute gehört ihr ein Holzspielzeugladen im Erdgeschoss.
Klaus Bädicker empört sich über Fehler und Schlampereien bei den Sanierungen, über Baupläne und Bauvorschriften der DDR. Was Stadterneuerung betrifft, ist er als ehemaliger Forscher an der Bauakademie der DDR vom Fach. „Kaputtsanieren“ ist sein Stichwort, sicher hat er oftmals Recht. Seine alten Fotos sind Zeitdokumente, einzelne Motive mit viel Liebe zum Detail ausgesucht, stehen aber in einem heillosem Durcheinander. Sie taugen nur nach akribischer Eigenarbeit zum Begleiter auf einem Stadtrundgang. Mit dem Fotomaterial hätte Bädicker einen ganz schönen dokumentarischen Bildband zusammenstellen können.
Selbst Liebhaber werden spätestens nach einem Blick auf die Texte das Buch wieder aus der Hand legen. Wahllos quetscht Bädicker seine langweilenden Ergüsse zwischen die Bilder. Bei ihm freuen sich die Straßen über Sonnenaufgänge, oder er rätselt interessiert: „Wie oft mag auf diesem Hof ein Pferd ausgerutscht sein?“ Das Vergessen und die Zeit sind die Feinde, gegen die der Autor wie Don Quijote gegen seine Windmühlen kämpft. Er fordert Hinweise, Nachrufe, Denkmäler und Museen, für koschere Metzgereien, alte Friedhöfe oder die erste deutsche Blindenschule. Die Mitte-Hipster beäugt er feindlich-skeptisch, wie überhaupt die ganze Gegenwart: „Brötchen gibt es auch“, berichtet er etwa über das Hackbarth, „die mit viel heißer Luft innen, wie manches in dieser Zeit“.
Fast alle seine Beobachtungen sind personifiziert, von der Anonymität einer Großstadt ist bei ihm wenig zu spüren. Frau Krause etwa, die ein Wandbild von Casablanca neben ihren Hauseingang gemalt hat. Frau Krause war inzwischen in Marokko und hat gemerkt, dass ihre gemalte DDR-Illusion nicht der Wirklichkeit entspricht. Sie hält das Scheunenviertel im internationalen Vergleich doch für etwas ganz Besonderes. Vielleicht gefällt „Vorstadtsalat“ wenigstens Leuten wie ihr. SILKE LODE
Klaus Bädicker: „Vorstadtsalat“. Für 5 Euro in der Buchhandlung „pro qm“ und in der Wohnungsbaugesellschaft Mitte erhältlich
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