beiseite: Haymatloz
„Soll ein Türke Oberbürgermeister von Berlin werden?“ – die Frage wurde von interessierter Seite aufgeworfen, als der Sozialdemokrat Ernst Reuter nach dem Krieg für das Amt des Stadtoberhaupts kandidierte. Denn Ernst Reuter hatte mehr als 12 Jahre lang in der Türkei gelebt, an der Universität in Ankara gelehrt und die Sprache gelernt.
Bekanntlich ist Ernst Reuter dann doch der erste Regierende Bürgermeister des westlichen Berlin geworden. Nicht unweit des nach ihm benannten Platzes, in der Akademie der Künste im (genau so hässlichen) Hansaviertel des Bezirks Tiergarten, wird heute Abend die Ausstellung „Haymatloz – Exil in der Türkei 1933–1945“ eröffnet, die dem Fluchtweg von über 1.000 deutschsprachigen Flüchtlingen an den Bosporus nachspürt. Viele blieben nur kurz und wanderten noch während des Krieges weiter, nach Palästina oder in die USA, die meisten anderen kehrten nach 1945 nach Deutschland zurück – Ernst Reuter vorneweg.
Als im Deutschland der Dreißigerjahre der Exodus der kritischen Intelligenz einsetzte, da war die Türkei ein naheliegendes Ziel: weit genug entfernt vom expansionslüsternen Hitler-Staat, aber nahe genug an Europa, um den Kontakt mit anderen verstreuten Exilanten und Widerständlern nicht ganz zu verlieren.
Für die Türkei waren die gebildeten Emigranten von unschätzbarem Wert beim Aufbau moderner Institutionen in der jungen Republik, und sie wurden entsprechend begrüßt. Vor allem im Bereich von Architektur und Stadtplanung sollten sie großen Einfluss ausüben. Ernst Reuter etwa übernahm 1938 in Ankara an der neu geschaffenen Universität eine Professur in Städtebau, der Österreicher Clemens Holzmeister schuf das Parlamentsgebäude der neuen türkischen Hauptstadt, und Bruno Taut schrieb im Exil seine berühmte „Architekturlehre“.
Auch in anderen Bereichen des politischen und kulturellen Lebens, vor allem der Musik, hinterließen die Gastarbeiter bis heute merkliche Spuren.
Die Ausstellung in der Akademie der Künste will aber nicht nur an die prominenten Wissenschaftler und Experten erinnern, die der Reformepoche der frühen Republikjahre ihren Stempel aufgedrückt haben, sondern auch an die meist jüdischen Migranten aus mittelständischen Familien, die sich, weit weniger hofiert, irgendwie in der Türkei durchschlagen mussten. Ihnen ist der Ausstellungstitel geschuldet: „Yahudi haymatloz“ - heimatlose Juden“ – stand in den türkischen Ausweisen jener Flüchtlinge, die auf Grund ihrer jüdischen Herkunft aus ihrer alten Heimat ausgebürgert worden waren. bax
Eröffnung am Samstag Abend um 17 Uhr in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten. Bis 12. 2. 2000
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