beim zeus : „Wasser, Wasser, Wasser!“
FRANK KETTERER über den grassierenden Flüssigkeitsmangel beim hitzigen Radrennen in den Straßen von Athen
Jens Voigt sah mitgenommen aus, aber er lebte noch, und im Prinzip war das die Hauptsache nach diesem brütend heißen Tag in Athen. Zwei Tage zuvor hatte der Berliner Radprofi, der vom dänischen CSC-Team sein Salär bezieht, nämlich noch angekündigt, für Jan Ullrich sterben zu wollen, nur damit der Freund aus alten Sportschultagen erneut Gold gewinne bei den Olympischen Spielen. Nun war Ullrich, Deutschlands schlampigstes Radtalent, nur 19. geworden beim olympischen Rennen, das der Italiener Paolo Bettini vor dem Überraschungszweiten Sergio Paulinho aus Portugal und dem Belgier Axel Merckx gewann. Erik Zabel ärgerte sich ein bisschen über Rang vier, weil ihm genau ebenso viele Sekunden zur Medaille fehlten. Die Männer vom Bund Deutscher Radfahrer (BDR) konnten so recht zufrieden mit ihrer Ausbeute also nicht sein, aber immerhin: Voigt erfreute sich bester Gesundheit. Und war sogar ins Ziel gekommen.
So ganz selbstverständlich war das nach diesem Tag unter der gnadenlosen Sonne Athens nicht. Profiradler sind gemeinhein hart im Nehmen, was ihnen bei diesem Rennen über 224,4 Kilometer, verteilt auf 17 Runden, zugemutet wurde, überstieg aber bisweilen selbst ihre Leidensfähigkeit. „Es war sagenhaft heiß, fast nicht aushaltbar“, sagte Ullrich, der es bekanntermaßen gerne etwas wärmer mag. „Wir wussten ja alle, dass es heiß werden würde, aber so heiß …“, ergänzte der Überlebende Voigt. Auch Erik Zabel, eher als gnadenlos denn als jämmerlich bekannt, fand die Hitze „nur brutal“. Weit über 40 Grad im Schatten waren gemessen worden – nur: Auf dem Rundkurs gab es so gut wie keinen Schatten.
Das allein freilich wäre so schlimm noch gar nicht gewesen, das sind die Jungs, alles gestandene Profis, beispielsweise von der Tour de France gewohnt. Zusätzlich kritisch machte das Rennen in Athen vielmehr: Neben dem Schatten gab es auch keine Getränke, jedenfalls nicht in ausreichender Form. Gerade mal einen Verpflegungspunkt auf der 17 Kilometer-Schleife hatte das IOC vorgesehen, viel zu wenig, wie der deutsche Mannschaftsarzt Lothar Heinrich bemängelte. „Bei der Hitze um die Mittagszeit war das unverantwortlich“, wetterte Heinrich, einen entsprechenden Antrag des BDR auf eine zweite Wasserstation hatte das IOC am Vortag abgelehnt. Um die Fahrer während des Rennens vom Mannschaftsfahrzeug oder vom Motorrad aus mit Flüssigkeit versorgen zu können, dazu war wiederum der winkelige Stadtparcours viel zu eng. Die Folge, so Heinrich: „Wer einmal das Trinken verpasst, hat’s schwer“, weshalb der Mannschaftsarzt schon früh ein „Ausscheidungsrennen“ prophezeite, weil: „Das sind alles Profis hier, die steigen aus, bevor sie ihre Grenzen überschreiten.“ Genau so kam es: Von den 141 gestarteten Fahrern schafften es gerade Mal 75 ins Ziel.
So wurde das Rennen rund um die Akropolis auch zu einer Art Reminiszenz an einen Typus Radfahrer, der es bei den großen Rundfahrten wie Tour, Giro oder Vuelta stets zu einigem Ansehen bringt, in Athen aber gar nicht mit dabei war: der gemeine Wasserträger. Bilder von Männern, die sich ihr Trikot voll stopfen mit Getränkepullen und sich anschließend noch vier, fünf Verpflegungstaschen um den Hals schlingen, nur um ihren Kapitän mit flüssigen Köstlichkeiten zu versorgen und es ihm gut gehen zu lassen, gab es in Athen jedenfalls nicht zu sehen. Was im Prinzip zwei Gründe hatte: Bei einem Rundrennen wie dem olympischen ist das ewige Hin- und Herschwirren der wasserschleppenden Arbeitsbienen zwischen Mannschaftsfahrzeug und radelndem Boss nicht möglich, schon gar nicht, wenn die Straßen und Gassen so eng und kurvig sind wie jene am Fuße des Lykabettos; zum anderen fällt es schwer, bei einer Fünf-Mann-Equipe einen nur zum Getränkeholen abzustellen.
„Wasser, Wasser, Wasser – aber wer holt das Wasser?“, brachte Andreas Klöden diese olympische Tatsache trocken auf den Punkt. Klöden, vor einem Monat noch strahlender Tour-Zweiter hinter dem in Athen fehlenden Amerikaner Lance Armstrong, stieg in Runde zehn vom Rad, weil Krämpfe in seinen rechten Oberschenkel gekrochen waren, laut Teamarzt Heinrich auch dies eine Folge mangelnder Flüssigkeitsaufnahme. „Olympia ist einfach ein anderes Rennen“, befand auch Jens Voigt, schon weil hier Nationalmannschaften am Start stehen und nicht Profiteams. Was keineswegs heißen soll, dass es Jan Ullrich an Unterstützung gemangelt hätte, oder er nicht als Chef anerkannt worden wäre. Klöden, bei dem die Strapazen der Tour nachwirken und der auch spürt, dass die Form von Frankreich so langsam aus seinen Gebeinen weicht, war eigens gestartet, „um Ulle zu helfen“, auch Michael Rich, normalerweise beim Team Gerolsteiner, dem nationalen Konkurrenten der Ullrich-Mannschaft T-Mobile, legte Wert darauf, seinen Job im ersten Drittel des Rennens erledigt zu haben, bevor er ausstieg, auch um Kräfte zu sparen fürs Zeitfahren am Mittwoch. Und Jens Voigt wäre ja gar dafür gestorben, wenn er seinem Freund Ullrich zum erneuten Olympiasieg hätte verhelfen können.
Der hat nun am Mittwoch die letzte Chance auf Gold, das Einzelzeitfahren steht an. Für Erik Zabel gibt es nur einen, der das gewinnen kann: „Mit seiner Kondition, seiner Form und seinem Gewicht, ist Jan für mich der Topfavorit.“ Vorausgesetzt er bekommt genügend zu trinken.