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■ Neulich...beim Standesamt

Gerade hat auch Er sein „Ja“ über den Tisch gehaucht – jetzt endlich wäre genügend Zeit, in aller Ausführlichkeit betreten zu schweigen. Da greift die Standesbeamtin zur Fernbedienung. Führt den linken Arm leicht zur Seite und unseren Blick zum Hi-Tec-Tower. Dort liegt er bereits eingespeist, um planmäßig die gewünschte klassische Stimmung zu erzeugen: Franz Liszt im Halle'schen Stadthaus zu Sachsen-Anhalt. Zarte Klaviermusik perlt aus den Boxen, ergreift die Anwesenden; selbst die Jüngste unter ihnen fühlt sich beschwingt und hebt ihr Röckchen.

Schon aber gewinnt das strenge Kostüm an der brünetten Standesbeamtin wieder die Oberhand. Mitten im 154sten Takt verwechselt sie Ausblende- und Stop-Taste und würgt ihn ab, den Liszt. Überhaupt scheint sie überhaupt nicht von fern bedienen zu wollen. Nach Verlesung des Ehe-Vertrages darf der Nächste vom Band, und weil wir hier ja nicht in der Disco sind, erhebt sich die DJ, läuft volle fünf Schritte zum Tower, geht die Palette durch, kann sich entweder nicht entscheiden oder nichts finden. Schon hebt sich wieder das Röckchen, diesmal vor Ungeduld. Da endlich hat sie ihn. Freddy Chopin. Sie sucht nur noch ein Weilchen das geeignetste „Nocturne“.

Diese Dame macht es einer wirklich schwer, die innere Feierlichkeit einen Heiratsakt lang aufrechtzuerhalten. Als auch Chopins Zeit (3'26'') abgelaufen ist, windet sie sich in Schlangenlinien vor und zurück, und muß dann doch wieder aufstehen, um ins Magnetfeld des Towers zu gelangen. Bei uns hat nun endgültig alle würdevolle Zelebrität ein Ende. Unverdrossen bringt sie jedoch ihren Wortschwall zu Ende, entläßt die Gesellschaft, und die steigt einigermaßen emotionsverwirrt in Fahrzeuge mit weißen Antennenbändern.

N.B.: Alle, die vorhin auch nur ansatzweise Mendelssohn-Bartholdy und seinen Hochzeits-Marsch erwartet haben, sind als ossiphob geoutet und gemein. Silvia Plahl

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