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barbara dribbusch über GerüchteDer Hund ist tot, es lebe die HG

In unserer alternden Gesellschaft ist die Gruppe wieder im Kommen – die Frage ist nur: welche?

Schon seit längerem habe ich diese kleine Liste angelegt, im Kopf. Mein Kletterpartner Pit hat sich angemeldet, allerdings unter gewissen Vorbehalten. Freundin Chrissy steht schon auf der Liste, und immer wieder kommen neue Leute dazu. Es sind allesamt Bekannte in mittleren Jahren, die die Idee „supertoll“ finden, irgendwann mal später was „mit einer Hausgemeinschaft oder so“ zu machen. Es ist frappierend, wie groß der Bedarf zu sein scheint.

„Die Zukunft einer alternden Gesellschaft“, doziert Chrissy, „liegt in neuen Formen des Zusammenlebens. Man kann sich nun mal nicht auf die Zweierpartnerschaft verlassen.“ Wir sind in meinem alten VW Golf in die Lausitz unterwegs, hinten im Kofferraum liegt Chrissys toter Hund Rasputin. Chrissy musste ihn einschläfern lassen, vier Tage lag er dann in der Tiefkühltruhe, schließlich hat sie ihn in eine große Styroporbox gepackt, die ihr der Thailänder vom Imbiss billig überließ. Zwei Autostunden sind es bis zum Bauernhof, wo der Hund begraben werden soll.

„Bedarf an neuen Bindungsformen gibt es schon“, sage ich zu Chrissy, „die Frage ist nur: welche?“ Chrissy hat ja Recht. Das mit den immer neuen Zweierbeziehungen im Leben, die „serielle Monogamie“, klappt nicht so richtig. Sehe ich ja an meinem Bekanntenkreis. Pit zum Beispiel. Er ist Mitte vierzig und nun schon seit zwei Jahren Single. Er ist ein prima Freund, kommentiert geduldig jede meiner emotionalen Verstrickungen und hat mich immer sicher am Kletterseil. Seinen sexuellen Wirkungskreis allerdings hat er seit einiger Zeit vom Realen ins Imaginäre verschoben. Ich habe ihm kürzlich versucht zu erklären, dass es wenig bringt, der von ihm angeschwärmten Kunststudentin im siebten Semester nun schon den dritten Verehrerbrief zu schreiben, ohne eine Antwort bekommen zu haben. Es nützt nichts.

Unglückliche Lieben sind immer eine sichere Sache. Man kommt nicht dagegen an. „Meinst du, viele wollen lieber vor sich hinträumen und gar keinen realen Partner mehr, wenn sie älter sind?“, frage ich. Wir holpern gerade über märkisches Kopfsteinpflaster. Die Kiste mit dem tief gefrorenen Rasputin rumpelt im Kofferraum. Der Hund darf auf keinen Fall zu früh auftauen. Und hoffentlich geht das Klebeband nicht auf.

„Nee, es gibt einfach so wenig interessante Männer, das ist der Punkt“, sagt Chrissy. Ich weiß gar nicht, wie oft ich diesen Satz schon gehört habe. Eigentlich ein bisschen zu oft, aber das nur nebenbei. „Man muss deshalb andere Gemeinschaftsformen finden, die vom Sex unabhängig sind“, fährt Chrissy fort, „wo man aber auch nicht ständig mit Leuten in Kneipen herumsitzen und reden muss.“ Chrissy hat seit Jahren das „Modell Hund“ gelebt. Wer einen Hund hat, lernt schnell andere Leute, vornehmlich auch Hundehalter, kennen. Wer einen Hund hat, muss nicht viel reden und ist trotzdem nicht allein. In einer neuen Studie ist zu lesen, dass Hunde auf ihre Besitzer beruhigender wirken als Ehepartner.

„Es darf ja wohl keine Voraussetzung sein in einer Hausgemeinschaft, dass die Leute alle Hunde haben?“, meine ich argwöhnisch. Pit würde dann schon mal als HG-Mitglied ausfallen. Pit muss ich mit einer Kletterwand im Hof locken. „Es muss natürlich alles freiwillig sein in der HG, das ist doch klar“, beeilt sich Chrissy zu erklären, „bloß nicht zu viel Stress, bloß keine gemeinsamen Zwangsessen oder so was.“ Ich persönlich verstehe zwar nicht, wie man dreimal am Tag einen Hund ausführen kann, aber schon kleinere Aktivitäten mit Mitmenschen als „Stress“ verbucht, aber vielleicht liegt es daran, dass Hunde nicht verlangen, dass man ihnen auch mal zuhört.

„Eine WG im alten Stil käme bestimmt nicht in Frage“, sage ich, „wenn man älter ist, braucht man eine eigene Küche und sein eigenes Bad. Aber einmal in der Woche einen gemeinsamen Fernsehabend und am Sonntag ein großes Frühstück, das wäre doch nett.“ Ich rede schon wie die Architektin einer Senioren-Wohnanlage. Der Leiter einer solchen Anlage hat mir mal erklärt, am besten sei eine tägliche zentrale Essenseinnahme. Um die Leute durchzuzählen. Damit niemand mehr als einen Tag lang tot in der Wohnung herumliegt. „Die HG muss lebendig sein“, betont Chrissy, „gemeinsame Interessen sind schon nötig.“

„Musik“, versuche ich vom Hundethema abzulenken, „wir gründen eine Hausband.“ „Nicht jeder kann ein Instrument spielen“, wirft Chrissy ein. „Klarinette“, beharre ich, „das kann jeder noch lernen, der mal in der Schule Blockflöte hatte.“ Wir sind auf dem Bauernhof angekommen. H. steht schon mit einer Schubkarre bereit, um die Isolierbox mit Rasputin aufzuladen und an das vorbereitete Grab hinter der Pferdekoppel zu fahren. „Willst du eigentlich wieder einen Hund?“, werde ich Chrissy auf der Rückfahrt fragen. „Erst mal nicht“, wird sie mir antworten, „Hunde sind wie Menschen: ausgeprägte Persönlichkeiten. Die kannst du nicht so einfach ersetzen. Die haben alle was Eigenes. Das ist das Problem.“

Fragen zu Gerüchten?kolumne@taz.de

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