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bar ohne namen in barceloneta. ein idyll von WIGLAF DROSTE

Die hellhölzernen Eingangstüren sind hoch und massiv, zwei schmiedeeiserne Indianerköpfe dienen als Türklopfer. Geöffnet ist von morgens halb zehn bis abends halb elf. Schon im Eingang baumeln Schinken von der Decke, über dem Tresen hängen Würste und weitere Schinken. Links an der Wand sind Pappkartons aufgestapelt, staubig. Rechts der Tresen ist an den beiden kurzen Seiten je zwei, auf der langen Seite gut vier Meter lang. Es gibt ein paar Barhocker, hinten im Raum schließt sich ein altertümlicher Kolonialwarenladen mit Ladentheke an.

Es wird ausschließlich Cava ausgeschenkt: Vom einfachen Rosat bis zu einem Brut nature, der manchen Champagner schlüge, ist alles erschwinglich. Fast jeder hier bestellt gleich eine ganze Flasche. Man sieht keine Betrunkenen, auch nach Stunden nicht. Das Publikum ist gut gemischt. Mittelalte Pärchen in bürgerlicher Kleidung stehen neben schnieken Geschäftsleuten; ein paar Jungmänner, deren sorgfältig abgerissene Klamottierung und Haartracht sie als Anarchisten der Sorte wär’n-sie-gern ausweist, trinken mit ausladenden Gesten. Ein sehr kleiner älterer Herr, dem Maler Picasso nicht unähnlich, trippelt ins Lokal und stellt sich an die Theke, über die er kaum hinüberschauen kann. Ohne etwas geordert zu haben, bekommt er von einem der drei Präzisionsarbeiter hinter dem Tresen einen Teller dünn geschnittene Wurst und eine Flasche Rosat hingestellt. Er nimmt eine Papierserviette und klebt sie mit Hilfe des Kondenswassers auf die Flasche. In der Geste ist mehr Stil als in einer Wagenladung Stoffservietten. Zum Cava essen die meisten Bocadillos – Brötchen mit Schinken oder, wenn sie um die Dinge wissen, mit warmer Wurst und Zwiebeln. Was sich beim Biss ins warme Brötchen einstellt, kann wahrheitsgemäß nur mit dem großen Wort Glückseligkeit beschrieben werden. Man möchte niederknien vor den drei Männern hinterm Tresen, die das Rad des Lebens mit einfachsten Mitteln in Schwung halten, aber das wäre verfehlt: Jeder hier hält das Beste für eine Selbstverständlichkeit. Und auf einen Boden zu sinken, der mit Servietten und Zigarettenkippen übersät ist, würde das würdige Gesamtbild bloß stören.

Musik gibt es keine in dieser Bar, keinen Fernseher, nur die Stimmen und ihre Echos. Im Gewimmel der fremden Gespräche darf man den fernen Stern beobachten, auf dem man steht. An der Wand gegenüber lehnt eine junge Frau; eine der Tresenkräfte gießt ihr eine Schale Brut nature ein. Die Frau steht ganz entspannt, ihr Haar fällt fast bis auf die Hüfte, es schimmert dunkelgolden. Sie trinkt einen Schluck, friemelt sich ein Flüppchen aus der Packung und raucht in Ruhe ihr Essen herbei. Sie bekommt ein Brötchen gereicht, schnuppert nüsternnasig und beißt herzhaft hinein. Sie hat die Augen geschlossen. Von ihren Lippen, vom Futtern noch größer geworden, leuchtet ein leichter Fettfilm. Etwas Fleischsaft läuft ihren rechten Mundwinkel herab. Sie tupft das Bächlein mit einer Serviette fort, beißt erneut kräftig zu, kaut und lächelt entrückt. Sie ist im Himmel, man kann es sehen.

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