bahn erhöht gebühren: Mit Mehdorn auf der Zugtoilette
Unter allen kleinen heimlichen Preiserhöhungen bei der Euroeinführung ist dies die tollste: Wer seine Bahnfahrkarte zurückgeben will, muss nicht mehr 17 Mark „Bearbeitungsgebühr“ zahlen, sondern 15 Euro – fast 100 Prozent Erhöhung, das hat sich sonst niemand getraut. Und: Die sonst so mitteilungsfreudige Bahn AG mit ihren vielen Pressesprechern hielt es für unnötig, diese Teuerung öffentlich mitzuteilen – nicht einmal, als Kunden andere kleinere Fahrpreiserhöhungen bemerkt hatten. Betrifft ja eh nur die Graufahrer. Die alten Betrüger, die sich vor dem Schaffner auf der Zugtoilette verstecken. Sollen ruhig eine Überraschung erleben, wenn sie ihren ungeknipsten Fahrschein zum Schalter bringen.
Kommentarvon GEORG LÖWISCH
Das Kalkül der Bahn ist falsch. Denn einen Fahrschein zurückgeben zu können, bedeutet Flexibilität. Sie ist neben Kosten, Geschwindigkeit, Zuverlässigkeit, Sicherheit, Umweltfreundlichkeit und Komfort ein bedeutender Faktor, wenn wir Kunden uns für ein Verkehrsmittel entscheiden sollen. Und gerade bei der Flexibilität schneidet die Bahn schlechter ab als etwa das Auto: Abfahrtszeit, Route und Haltepunkte sind festgelegt. Jetzt raubt das Unternehmen seinen Kunden auch noch die Freiheit, spontan zu planen.
Die Bahn führt an, dass niemand Gebühren zahlen muss, der seine Fahrkarte noch vor dem ersten Geltungstag zurückgibt. Ein Nullargument: Urlauber, die sich kurz vor der Abfahrt doch fürs Auto entscheiden, werden nicht gleichzeitig zum Bahnhof gehen und sich in Warteschlangen vor dem Schalter quälen.
Dass die Bahn den Kundenwunsch nach Flexibilität ignoriert, ist nichts Neues. Schließlich führt sie im Dezember ihr neues Preissystem ein. Diese „kundenfreundliche Revolution“ belohnt Reisende, die sich lange vorher auf einen bestimmten Zug festlegen. Wer etwa sieben Tage vorher bucht, fährt mit der Bahncard 55 Prozent billiger; wer sich später entscheidet, dem bringt die Bahncard nur noch 25 Prozent Rabatt.
Offensichtlich stellt sich Bahnchef Mehdorn seinen Kunden so vor: ein Manager, dessen Sekretärin vier Wochen vor dem Geschäftstermin die Fahrkarte für den ICE-Sprinter von Berlin nach Frankfurt kauft. Erste Klasse mit Reservierung. Dauert die Besprechung in Frankfurt länger, wirft er den Fahrschein lächelnd weg und nimmt ein Taxi. Solche Reisende kann Mehdorn heute schon treffen. In der Business Class der Lufthansa.
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