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bachs bleistift von EUGEN EGNER

Endlich bin ich so weit, dass ich diesen Bleistift benutzen kann. Ich musste größte Hemmungen überwinden, mich von meinem bisherigen Leben lossagen, Frau und Kinder verlassen, alles aufgeben und an einen abgelegenen Ort ziehen. Nun habe ich schon ein paar gerade Striche mit dem Stift gezogen, am Lineal entlang, aus Ehrfurcht vor Bachs Fugenwerk.

Bach hat das erste seiner Brandenburgischen Konzerte nicht nur mit diesem Bleistift, sondern auch auf diesen Bleistift geschrieben. Das Nachdenken über einen so schwer fasslichen Tatbestand und den ihm zugrunde liegenden schier unvorstellbaren Vorgang hat Douglas Hofstadter seinerzeit dazu gebracht, das berühmte Buch „Goedel, Escher, Bach“ zu verfassen. Eine dem Stift beigefügte, notariell beglaubigte Expertise belegt es.

Zum Glück hat Hofstadter das dicke Buch nicht mit diesem Bleistift geschrieben, sondern am Computer getippt. Den Stift hatte er zu diesem Zeitpunkt schon verärgert weggeworfen, weil er, wie er einmal zu Protokoll gab, fürchten musste, „irre zu werden an dem Scheißding“. So konnte der wertvolle Gegenstand auf nie zu rekonstruierenden Umwegen eines Tages zu mir finden. Als ich mich einmal in einer schwierigen Lebenssituation befand, schenkte ihn mir jemand. Die Identität des Schenkenden ist ebenso in Vergessenheit geraten wie die näheren Umstände der Schenkung. In meiner damaligen Lage konnte ich weder die Zeit noch die Kraft erübrigen, mich dem außergewöhnlichen Präsent zu widmen, und nachdem ich es ein paarmal ehrfürchtig zur Hand genommen und betrachtet hatte, ruhte es für einige Jahre in einer Schublade voller Gerümpel.

Während dieser Jahre beschäftigte ich mich mit ganz anderen Dingen, und so konnte es nicht ausbleiben, dass der Bleistift in Vergessenheit geriet. Über diese ganz anderen Dinge, mit denen ich mich seinerzeit beschäftigte, ist in gewissen Kreisen viel spekuliert worden. Goedels Grammophon war da ebenso im Gespräch wie Eschers Ersatzhemd, doch beide Vermutungen waren gründlich falsch, denn so einfach lagen die Dinge nicht.

Wer an dieser Stelle keine Neigung mehr empfindet, die Geschichte weiterzuverfolgen, oder zumindest eine Pause zur Verarbeitung der Eindrücke einlegen möchte, kann ja ein wenig kochen. Ich hätte dafür volles Verständnis, koche ich doch selbst ein wenig: Essbare Dinge müssen besorgt, zerlegt und unter Hitzeeinwirkung neu kombiniert werden. Hier empfiehlt sich die schriftliche Ausarbeitung eines präzisen Plans. Dazu braucht man Schreibgerät, etwa einen Bleistift. Wen wundert es also, dass ich in genau dieser Lage die Gerümpelschublade nach einem Kugelschreiber durchwühlte und wieder auf Bachs Original-Bleistift stieß!

Beim Anblick des darauf notierten Brandenburgischen Konzerts fiel mir alles wieder ein. Ich vergaß das Kochen und begann, gerade Striche zu ziehen. Damit habe ich aber sogleich wieder aufgehört, denn mir wurde klar, dass jeder Gebrauch des Stifts unweigerlich zum Anspitzen führen muss, wodurch Bachs Autograph der Partitur nach und nach vernichtet wird. Ich werfe das Scheißding zurück in die Gerümpel-Schublade. Damit ist dieses Thema erledigt.

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