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Archiv-Artikel

ausgehen und rumstehen An der Oberfläche der Dinge gleiten wir herab ins Nichts

Es ist früher Samstagabend. Draußen beginnt es soft zu schneien. Die unglaubliche Kurfürstenstraße. Ich nehme meine elektronische Zigarette in die Hand und durchblicke den Raum. D. Müller und K. Nedo haben die Wände der Galerie Center schwarz angestrichen. Einige Schwarzlichtröhren beleuchten diffus ein großes Sachwort- und ein Personenregister, das Destillat der gesammelten Editorials des ehemaligen Vanity-Fair-Chefs Ulf Poschardt. Das Archivierungsprojekt erscheint als Buch, das wie die Ausstellung den Titel „Das Beste aus 2007“ trägt und im kleinen, schwarzglänzenden Vanity-Fair-Tütchen kommt.

Zuvor fuhr ich mit einem Freund in einem champagnerfarbenen Lamborghini Unter den Linden herab. Er wechselt in den dritten Gang und klagt über Geldprobleme. Das Auto könne er natürlich nur heute fahren, wegen dieses neuen Projekts. Man werde zwar nicht bezahlt, aber hat wenigstens Arbeit. Neben uns erscheint der Bebelplatz, das Modezelt. Ich lasse das Fenster herunter und höre, wie jemand „supi“ sagt. Aus der Anlage singt Bono „We’ll slide down the surface of things“.

Auf der Pressekonferenz beschreibt das Corporate-Model der Mercedes Benz Fashion Week, Julia Stegner, aus dem Stegreif sein Gefühl, draußen auf dem roten Teppich neben dem neuen Mercedes CLS gestanden zu haben. Es sei eine sehr große Ehre gewesen. Ihre Antipodin, das holländische Vogue-Covergirl Iekeliene Stange, die Verworren-Hässlichste der Allerschönsten, zeigt in einem Keller der Projekt-Galerie Fotoarbeiten auf Polaroid und markiert mit den von den Pariser Couture-Schauen mitgebrachten Freunden hippiehaft-gebrochene Klüngeleleganz. Sie erzählt von ihren Hobbys Stricken, Backen und so.

Im Hintergrund singt Molly Nilsson, der neue Star des queeren Undergrounds. Auf ihrem ausdruckslosen, makellosen Gesicht sitzt wie ein Helm ein schneeweißer Bubikopf. Der Moment gespreizter Genialität wird dieser Tage nur ein einziges Mal getoppt. Als der Designer Bernhard Wilhelm muskulöse Skimänner zur Präsentation seiner Männerkollektion im Postfuhramt in einer Installation mit riesigen Dinosauriern, 10-Meter-Eiffelturm und Papstfigur zu einer Camp-Variation olympischer Winterspiele der 70er drapiert. Wilhelms erklärt mir: „Meet and greet auf dem Skigebiet.“ Mari sagt: „Berge, Bänkel, Bärte.“ Begeisterung.

Anderswo stehen sie bibbernd an der Straßenkreuzung, schauen in ein Schaufenster und dürfen nicht hinein. Innen steht dem Sänger Sebastian Tellier nur fast der Schweiß auf der Stirn. Die Perlen kommen nicht dazu, zu entstehen, die Polizei hält sie davon ab. Tellier muss das von der Coma-Galerie inszenierte Konzert nach wenigen Minuten abbrechen. Mari findet das sehr gut. Das sei alles schrecklich hier. So könne man keine Gäste behandeln. Auf die subversive Kraft, die sich auf beiden Seiten der Fensterscheibe verbreitet, wenn der Soulbarde mit Sonnenbrille und in warmem Discolicht sein frierendes Publikum bedient, pfeift sie. Ich entgegne, dass ich es eigentlich ganz witzig finde. „Jugend 2.0“, schüttelt Mari den Kopf und lässt sich von ihrem Mann in die neue Adidas-Location fahren.

Am nächsten Tag bei Mike Mills in der poolgalery ist die Welt super in Ordnung. Der Berkeley-Knuddel, der durch tolles Plattenartwork von Bands wie Sonic Youth und Beastie Boys berühmt wurde, gibt das männliche Pendant zu Miranda July. Er lacht sich mit seinen wässrig blauen Augen durch den Raum. Ich denke an den Dolch von Hermann Göring, an die geblümten Doc Martens von Iekeliene Stange, an die Dim Sum und die Müllkunst bei o32c und an Wilson Gonzales Ochsenknecht. Statt zu klatschen, trommelt der zur Becks Fashion Experience im WMF mit seinen in abgerissenem Punkstil manikürten Fingernägeln auf die grüne Bierflasche.

An der Oberfläche der Dinge gleiten wir herab ins Nichts. Jemand bemerkt, dass die gelungene Mischung aus Laufstegmodels wie Lena Gercke und Amateuren wie den Handballern der Berliner Füchse optische Reizpunkte setzt. Ich nehme einen Zug von meiner Cigatronik. Seit gestern ist Tom Kummer mein Facebook-Freund. TIMO FELDHAUS