ausgehen und rumstehen : Auch nicht die Lösung: No-Style-Partys gegen die postalkoholische Depression
Freitag 10. 9.
Der erste Tag des Wochenendes, und schon gibt es ein Problem. Ich fühl mich schlecht. Ich fühl mich furchtbar. Ich bin nur noch ein Häufchen Kater. Wie konnte ich nur so pflichtvergessen sein, die Mission Ausgehkolumne derart zu gefährden? Das alles fing bereits am Mittwoch an: „Ich glaube, die spielen heute 1 zu 1“, sagte der türkische Scheinitaliener, als er meine Pizza in ihren Karton gleiten ließ. „Das ist alles vorher abgemacht. Die Brasilianer kriegen hier schön Hotel und alles, und dann spielen die unentschieden.“
Es muss so in der achtzigsten Minute jenes Spiels gewesen sein, als mich zu Hause vor dem Fernseher die Euphorie packte. Der Pizzabäcker hatte das zweite Gesicht! „Das freut mich so, das ist so schön für ihn!“, dachte ich, und nach dem Schlusspfiff konnte ich meinen grenzenlosen Stolz auf diesen Mann nicht mehr für mich behalten. Ich musste ihn und noch ein paar andere Gefühle, die herbeizusaufen ich nun wild entschlossen war, teilen. Dazu brauchte ich Menschen. Ich fand sie am Strand. Viele gute Freunde bevölkerten eines der unzähligen Freiluftetablissements, wie sie neuerdings die Spree so fröhlich säumen. Unter einem Reetdach wärmten uns Feuer speiende Heizlüfter und der Sound vom „Crack-Up-Collective“. „Falko Teichmann ist so was wie die männliche Anne Clark des Urban Blues“, dachte ich, und alle mussten hören, was ich dachte. An der Bar wurden als Zahlungsmittel auch alte Kronkorken akzeptiert, wie nett! Irgendwann kurz vorm Ende meiner Erinnerung kamen Schutzmänner, bestellt von der neidischen Konkurrenz des Gegenufers. Die Musik verstummte, und um mich wurde es dunkel.
Am nächsten Abend riss mich ein Anruf aus postalkoholischer Depression. Zwei FreundInnen aus der Filmbranche bestellten mich ins EKA, ein liebevoll geführtes Lokal am Helmholzplatz. Die beiden redeten über Godard, und ich hoffte, wenn ich nur noch mehr und noch stärkere Weinschorle tränke, fiele mir auch was dazu ein. Es war hoffnungslos, allerdings gewann ich am Ende noch eine Wette. Denn, ja, Manfred Krug hat mal in der Sesamstraße mitgespielt. Heute jedenfalls geht es mir schlecht und deshalb muss ich ins Bett. Bis morgen.
Samstag 11.09
Bin gestern doch nicht ins Bett gegangen, sondern extra wegen der taz noch auf eine Party. Da der Gastgeber reicher Spross einer Schlagerkomponistendynastie war, hatte die Wohnung das Ausmaß einer Kleinstadt. Ich traf niemanden, obwohl angeblich viele da waren. Heute besuche ich meine Freundin in Leipzig, einem Hort der Ruhe und der Menschlichkeit. In Rauschgiftfragen hängt der Leipziger eher Marley an als Friedmann, bei der Kleidung bevorzugt er gedeckte Töne und höchst unprätentiöse Codes. Sein Charakter ist gut.
Sonntag 12.09
Gestern Abend also Leipzig. „Weißt du eigentlich, dass das heute Abend eine No-Style-Party ist?“, fragte die rastagelockte Mitbewohnerin meiner Freundin. „Hey, reicht’s euch nicht irgendwann auch mal, habt ihr werktags nicht genug No-Style?“, dachte ich. Aber es war alles ein Missverständnis, das sich aufklärte, als die ersten Gäste in einem ironisch schrillen 80er-Aufzug erschienen, der aus unserem Nachtleben schon lange nicht mehr wegzudenken ist. Es war wie das White-Trash in einer Studenten-W.G. – und wirkte in seiner platten Paradoxie schon arg ausgedacht. Auf der Heimfahrt heute per Mitfahrzentrale wurde ich noch Zeuge des Beginns einer Männerfreundschaft zwischen zwei Vollidioten. „Meinst du Freundschaft ist Liebe?“, war das Letzte was ich hörte, bevor ich vor lauter Taktgefühl einschlief.
JENS FRIEBE
Der Autor ist Popstar und lebt in Berlin