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Archiv-Artikel

ausgehen und rumstehen Ohne Q-Tips in einem Ibis-Hotel untertauchen

Der Trend zum Urlaub aus Erholungsgründen ist bei Deutschen ungebrochen, steht am Freitag in der Zeitung. Daneben könne man allerdings ein ganz neues Reisephänomen ausmachen: das der Schlechtwetterflucht. Mit der Gewöhnung an den regelmäßig wiederkehrenden Erholungsurlaub und die wachsende Zahl billiger Flugangebote hat man es hierzulande inzwischen wohl aufgegeben, Willen und Entschlossenheit durch das kollektive Aushalten von Dauerregen und Nordwind bei 12 Grad Celsius im Juni demonstrieren zu wollen. Vielmehr checkt mittlerweile die halbe Nation beim leisesten Anflug eines Tiefausläufers nach Dubai ein.

So erklären sich auch die gefühlten drei Stunden Fahrt durch verstopfte Flughafenzubringerstraßen an diesem Morgen. Den Soundtrack zur massenhaften Flucht liefert der Taxifahrer per Knopfdruck: Radio Paradiso (!) spielt in „Der sanfte Morgen“ nach eigenem Bekunden ausschließlich „Schlemmermusik zum Wohlfühlen und Entspannen“ – übersetzt heißt das so viel wie „Musik, die so tut, als wäre sie gar nicht da“. Denn im Radio findet ohnehin nur statt, was die Leute nicht (beim Tagträumen, Autofahren, Putzen) stört.

Leider fliege ich nicht nach Dubai, sondern nach München, nicht weiter erstaunlich also, dass es mir beim Aussteigen auf den Kopf regnet. Ich gebe dem Berliner Taxifahrer die Schuld: Er hat über das Wetter geredet, bevor ich ihm das Wort abschneiden konnte; und ich bin mittlerweile so abergläubisch, dass ich mir sicher bin, schon das bloße Thematisieren verhindere jeden zukünftigen Sommer.

Nach einem Tag, den ich mir mit dem Studium eines international standardisierten Luxushotelzimmers (gibt's Wattebäusche? Q-Tips? Ein ausklappbares Bügelbrett?) und der Jagd nach einem verloren gegangenen Kissen vertrieben habe, suche ich abends in einer Bar nach Zerstreuung. Es ist einer dieser Läden, wie man sie in Bocholt, Offenburg oder eben in München noch finden kann: Mit ihrer alle paar Minuten changierenden Beleuchtung erinnert die Bar an eine dieser Saunen für Weichlinge, die immer nur auf 65 Grad erhitzt werden – und die dann aber auch noch versuchen, den finnischen 100-Grad-Angebern mit „Lichttherapie“ auf die sanfte Art überlegen zu sein. Danach lande ich zum ersten Mal in meinem Leben in einem Ibis-Hotel – ohne Wattebäusche, Q-Tips und sonstigen Schnickschnack, dafür aber herrlich anonym. Sollte man mal eine Zeit lang verschwinden wollen, dann bitte hier.

Am nächsten Tag werde ich von Einheimischen gezwungen, in praller Sonne einen Liter Bier zu frühstücken, das sei hier so Sitte. Dass die Laugenstange im Flugzeug in Wirklichkeit ein Fußball ist und die Hostessen statt eines Altersentwurfs von Pierre Cardin neuerdings unförmige Kombis aus Fleecestoff tragen müssen, ficht mich danach nicht mehr an. Soll die Sitznachbarin halt irgendwas von „12 Grad“ und „der Sommer lässt sich ja dieses Jahr wirklich Zeit“ murmeln – mir einerlei. Schockierend dann aber doch, dass das Berliner Thermometer tatsächlich 11 Grad anzeigt und mein Aberglaube offensichtlich gar keiner ist, sondern reine Wissenschaft.

Rätsel um Rätsel gibt es dagegen später im Deep, einer sehr tief unter der Erde des Prenzlauer Bergs gelegenen Großraumdisco mit Gewölbe-Atmo: Warum stehen hier überall Betten, die „Jailhousefuck“ heißen? Warum hört sich die Musik von draußen viel besser an als drinnen? Warum erscheinen einem Bekannte, die man länger nicht mehr gesehen hat, plötzlich als Riesen?

Noch mehr Fragen statt der erhofften Antworten liefert die sonntägliche Party des Damen- und Herrenausstatters „Herr von Eden“ im White Trash: Warum ist alles wie immer, wo doch heute hier die „Herr von Eden“-Party stattfindet? Und warum ist das Wetter eigentlich immer noch so schlecht? LORRAINE HAIST