ausgehen und rumstehenAnastasia Zejneli : Ruhe in Neukölln und mit Luft gefüllte Plastikhände
Drinnen schwitzen oder draußen warten? Die Wolken hängen tief, und doch ist es drückend warm auf dem Gehsteig an der Kantstraße. Wir warten auf einen Tisch im Lo Mens Noodle House, eine Kollegin hatte mir das taiwanesische Restaurant empfohlen.
Dass sowohl meine Freund*innen als auch ich selbst am anderen Ende von Berlin wohnen, ist uns an diesem frühen Freitagabend egal. Hauptsache, die Dim Sum schmecken. Wackelig versuche ich eine Teigtasche auf meinen Stäbchen zu balancieren. „Hat sich das lange Anstehen gelohnt?“, frage ich meine Begleitung. „Ja, safe“, versichern beide und kauen. Wir unterhalten uns über unsere Uni in Dortmund, momentan sind viele meiner Freund*innen von damals für Praktika in Berlin. Das freut mich besonders, denn im anonymen Gewusel dieser Stadt ist jede bekannte Nummer, die man an einem Freitagabend wählen kann, ein wenig Vertrautheit.
Die Stadt mit ihnen zu erkunden macht Spaß, auch wenn es Freizeitstress bedeutet. Keine Gelegenheit will ich verpassen, mit ihnen Zeit zu verbringen. Auch wenn es bedeutet, für ein austauschbares Kioskerlebnis von Charlottenburg nach Prenzlauer Berg zu fahren. Und doch würde ich nichts lieber machen, als Sonnenblumenkerne knackend, die Lippen spröde vom Salz, mit ihnen in alten Zeiten zu schwelgen. Samstagmittag, nach einem Brunch vor einer WG-Party, suche ich Ruhe im Plötzensee.
Die drohenden Regenschauer sorgen für eine angenehme Leere auf der Wiese. Einen Moment Stille, raschelnde Blätter, vielleicht ein paar lachende Kinder, mehr will ich nicht hören. Ein Buch lesen und ein wenig dösen. Doch meinen Plan durchkreuzen bunte Paillettenröcke und schimmernde Hemden. Zwei Privatfeiern konkurrieren mit ihren ungleichen Bässen um meine Aufmerksamkeit. Die Idee eines idyllischen Nachmittags am See, nur wenige Stunden der Entspannung, löst sich vor meinen Augen auf. Vielleicht ein Anfängerfehler meinerseits? Gäbe es doch sicher abgelegenere Badeorte.
Trotzdem macht sich ein Gefühl des Heimwehs, der fehlenden Vertrautheit breit, wann lerne ich endlich die geheimen ruhigen Orte dieser Stadt kennen? Sonntagmittag, ich habe genug von der vollen U8, mit der ich seit Beginn des Wochenendes zu meinen Freund*innen pendel. Ein Spaziergang würde die nötige Entspannung liefern.
Ich biege in die Karl-Marx-Straße und genieße die fehlenden Menschentrauben, die sich sonst über die Gehwege schieben. Tauben picken an Döner-Überbleibseln, vereinzelt sitzen Menschen auf den Bänken, ein Pappbecher Kaffee in ihren Händen. Vor der Galerie im Saalbau bleibe ich stehen, ein Ort, den ich im Trubel bisher ignorierte. Die Frau am Empfang blickt nur kurz von ihrem Handy auf, als ich den Raum betrete. Braune und schwarze Masken, aus denen geflochtene Zöpfe wachsen, scheinen mich dabei zu beobachten. In einem kurzen Video verfolge ich eine Person, wie sie mit weißen mit Luft gefüllten Plastikhänden beklebt am Kotti steht oder durch Kreuzberg läuft. Man hört den Wind pfeifen und den Regen auf das Dach der U-Bahn-Station prasseln. Die Person blickt direkt in die Kamera. Am Ende des Videos löst sie die Hände von ihrem Körper. Übrig bleiben weiße Farbabdrücke, die sich mit dem Regen vermischen. Die Kamera entfernt sich langsam. Der nun durchnässte Körper bleibt allein im Regen stehen. Es ist ein fast tröstliches Bild.
Erst vor der Tür, als ich die Ausstellung verlasse, beginnen die Straße und ihre Bewohner*innen aufzuwachen. Erst dann bemerke ich, wie still es in der Galerie war. In Jota Kayodê Ramos' Gefühlswelt eintauchen zu können, gab mir den lang ersehnten Moment der Ruhe. Ich steige hinab zur U8, mit neuer Energie, bereit für das nächste Treffen.
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