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aufregerOhne Essen, Decken, Medizin: Afrikas Flüchtlinge in Libyens Chaos

In einem Aufnahmelager südlich der libyschen Hauptstadt Tripolis warten 9.000 Flüchtlinge auf Lebensmittel, warme Kleidung und medizinische Versorgung. Seit in der Küstenstadt Sabratha vor zwei Wochen Kämpfe zwischen Milizen, Anhängern der libyschen Armee und Islamisten ausbrachen, haben sich die mehrheitlich aus Westafrika kommenden Flüchtlinge, die dort auf eine Überfahrt nach Europa gewartet hatten, in der 80.000-Einwohner-Stadt Gharian in Sicherheit bringen müssen, 90 Kilometer entfernt.

Der Kommandeur des Zivilschutzes und der Polizei in Gharian, Dahoul Shahana, rief am Sonntag den Notstand aus und bat die libysche Einheitsregierung in Tripolis um Hilfe. „Einwohner und private Organisationen aus Gharian und den umliegenden Nafusa-Bergen bringen seit Sonntagabend Decken, Essen und Verbandsmaterial“, berichtet Hamza El-Najah, ein 37-jähriger Ingenieur, aus der Stadt.

Flüchtlinge berichten am Telefon von dramatischen Zuständen im Lager Al Hamra 30 Kilometer nördlich von Gharian, wo ansonsten rund 3.000 Migranten untergebracht sind: Schwangere kurz vor der Entbindung ohne medizinische Versorgung, Hunderte Fälle von Hepatitisverdacht, Mangelernährung, Schussverletzungen und Folterspuren, Depressionen, Gewalt zwischen Wächtern und Insassen sowie zwischen den Flüchtlingen. Das Lager wurde 2016 mit EU-Hilfe eingerichtet, aber weder EU noch IOM haben Vertreter vor Ort. „Aufgrund der schlechten Sicherheitslage ist Al Hamra zur Zeit der einzig sichere Ort“, weiß aber El-Najah.

Die Gemeinden Sabratha und Zauwia haben selbst den Transport der Flüchtlinge dorthin organisiert. In lokale Krankenhäuser dürfen Verletzte und Schwangere nicht, denn die sind voll mit libyschen Schwerverletzten. Auf offenen Lastwagen werden die Westafrikaner transportiert – in den Nafusa-Bergen sinken die Temperaturen nachts unter 10 Grad.

Auch in anderen Aufnahmelagern in Westlibyen herrscht permanenter Ausnahmezustand. Salah Zopek, Gharians Vertreter im libyschen Parlament, ruft dazu auf, eine Katastrophe zu verhindern: „Wir haben keine Mittel mehr, um die Ausbreitung von Hepatitis und anderen Krankheiten zu verhindern und die vielen Schusswunden zu behandeln.“

In Sabratha hat derweil eine Allianz von Milizen, die dem ostlibyschen Armeechef Chalifa Haftar nahestehen, die Macht übernommen. Der ehemalige Schmugglerkönig Ahmed Dabashi, der durch einen Anti-Flüchtlings-Deal mit Italien seine Macht zu festigen versucht hatte und damit seine Rivalen gegen sich aufbrachte, hat sich zusammen mit seiner „Miliz 48“ in das nahe Surman abgesetzt. Feldmarschall Haftar verkündete am Wochenende, dass seine Armee nun den Großteil Libyens kontrolliere.

Nun fürchten die Menschen in Libyens Hauptstadt Tripolis, wo die von Haftar bekämpfte, international anerkannte Übergangsregierung herrscht, eine Entscheidungsschlacht – und damit eine neue, noch größere Flüchtlingswelle. Mirco Keilberth, Tunis

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