auf augenhöhe: Der nette Ossi
■ Von Markus Franz
Ich brauchte Schuhe. War zufällig auf Ku'damm. Also zu Bally. Verkäuferin gar nicht hochnäsig und unfreundlich, Ku'damm, Berlin. Kaufte dankbar zwei Paar Schuhe. Teuer. Zufrieden zu McDonald's. Wird langsam unsympathisch, nicht? Kommt noch schlimmer. Danach ins Kino. Zoo-Palast. Immer peinlicher. Film? Weiß nicht mehr. Aber die Strafe folgte ja auf dem Fuß.
Auf der Straße dachte ich an meine Freundin. Anrufen. Freundin – Schuhe. Am Wochenende zuvor hatten wir vergebens gesucht. Schuhe? Ich guckte an meinem rechten Arm runter. Dann dem linken. Keine Schuhe. McDonald's!
An meinem ehemaligen Platz im ersten Stock keine Schuhe. Runter zum Filialleiter. Keine Schuhe, tut leid. Kino! Schnell, bevor nächste Vorstellung beginnt. Dahin, wo das „Nogger“-Papier vor Sitz liegt. Keine Schuhe.
Wieder zu McDonald's. Zum dritten Mal an einem Tag. Hektisch. Noch mal zu altem Platz. Von einem Tisch zum anderen. Schnürend. Versuche so zu wirken, als suche ich keine Abfälle unter den Tischen. Hinterlasse unten Visitenkarte.
Will's nicht einsehen. Wer lässt denn Schuhe mitgehen? Wieder in den ersten Stock. Toilettenfrau fragen. Wieder runter. „Hallo!“ Ein vietnamesischer Mitarbeiter ruft, Visitenkarte in der Hand. Nicht meine. „Ein Herr hat Ihre Schuhe gefunden.“ Ach ja? Und wo sind die? „Hat er mit nach Hause genommen.“ Was???
Ich weiß, ich hätte strahlen sollen, dankbar sein, herzlich gar. Gelang nicht. Schuhe teuer. Spät. Und nun? Der Mitarbeiter: „Hätte ich Ihnen bloß nichts gesagt.“
Telefonzelle. Guck auf die Visitenkarte. 03341? Strausberg! Oh Mann. Osten. Fünfzig Kilometer hinter Berlin. Dunkel da. Was haben meine Bally-Schuhe da zu suchen?
Typisch Ossi.
Fröhliche, sympathische Stimme am Telefon. „Sind Sie der Herr mit den Schuhen? Schön, dass Sie anrufen.“ Ich, gespielt freundlich: „Ist ja echt nett von Ihnen, dass Sie meine Schuhe mitgenommen haben. Warum haben Sie die eigentlich nicht bei McDonald's abgegeben?“ Das „Um Himmels Willen, Sie Blödian“ verkneife ich mir.
„Ich bin ein bisschen misstrauisch. Ich wollte sicher gehen, dass Sie die Schuhe auch wirklich kriegen. So schöne Schuhe.“ Ich: „Natürlich kriegen Sie Finderlohn.“ Er: „Nicht nötig.“
Und jetzt? Wie bekomme ich die Schuhe wieder? Er will nach Berlin kommen. Am nächsten Tag. Ob er in Berlin was zu erledigen hat? Nein, aber er hat Zeit.
Am nächsten Morgen treffen wir uns S-Bahnhof Friedrichstraße. Pünktlich. Mitte dreißig. Kariertes Jacket. Ohrring. Nett.
Wir plaudern. Seine Freundin kommt dazu. Aufgeschlossen, nett. Mit neugekauften Schuhen in der Hand. Sie verabschieden sich herzlich. Ohne Finderlohn. „Moment mal“, sage ich. Gebe fünfzig Mark. Ablass. Ossis sind einfach netter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen