piwik no script img

auf augenhöheSILVIA LANGE über grüne Kehrspäne

IMMER GEGEN DEN ZUG

Auch so eine dieser letzten, unbeantworteten Fragen: Was sind das eigentlich für grüne, gnubbelige Krümel, mit denen nachts die Berliner U-Bahnhöfe gesäubert werden? Moos? Putzflocken? Total ökologisch abbaubar oder ätzender Chemo-Scheiß? Oder verteilen die Kehrer die Krümel vor dem Fegen nur, um zu wissen: Hier hab ich schon gefegt, aber da noch nicht?

Auch nach dem Fegen bleiben die Krümel allgegenwärtig: Tagsüber findet man sie immer in irgendwelchen Ritzen der U-Bahnhöfe. Neben Gullideckeln oder am Treppenabsatz. Dort, wo die Besen nicht so gut hinkommen. Nachts, wenn ich aus der U-Bahn auf den Bahnsteig springe, sind die stillen, unauffälligen Kehrer meist schon da. Sobald die U-Bahn und die anderen Fahrgäste weg sind, hört man nur noch leise „ffft-ffft-ffft-ffft“, das regelmäßige Fegen der langen Besen auf dem Bahnsteig. Was sind das für Krümel? „Dit sind Kehrspäne, die binden den Staub“, antwortet der Kehrer Wolf. Ja, aber WAS sind das für Krümel? Was genau drin ist, weiß er nicht. Das steht auf der Packung. Oder auf dem zugehörigen EG-Sicherheitsdatenblatt: Circa 60 Prozent Wasser, circa 40 Prozent Holzspäne und circa 0,5 Prozent Seife, Öl- bzw. Wachsemulsion. Im Klartext: Feuchte grüne Sägespäne mit etwas Seife. Hautkontakt soll unbedenklich sein, also gleich mal reingelangt. Fühlt sich nass und schmierig an.

„Da gibt’s zwei verschiedene Varianten“, erklärt Wolf. Grobe Späne für „Schwarzdecken“ wie auf den meisten Bahnhöfen der schon durch ein Musical geehrten U-Bahn Linie 1 nach Kreuzberg und feine Späne für die schickeren Fliesenbahnhöfe wie etwa in Wittenau.

Unterschiedliche Farben gibt es auch: naturfarben oder mit Kosmetikfarbstoff eingefärbte blaue und rote Krümel. Aber die meisten sind doch grün. Am Anfang zumindest, wenn sie ausgestreut werden. Beim Fegen saugen sie sich mit Staub voll und werden dann schwarz. Dabei werden „Pflegestoffe“ angeblich an den Fußboden abgegeben.

Es gibt sogar seit 1901 ein Patent auf das Kehrspäne-Verfahren. Kaum zu glauben, dass seitdem so umweltfreundlich geputzt wird. „Die verbleibenden Kehrspäne sind als Naturprodukt problemlos zu entsorgen“, wirbt die Packung. „Dit is vom Ökohersteller und allet biologisch abbaubar“, ist auch Wolf überzeugt. „Wenn wir dit nich machen würden, dann würden Se hier vor Staub nüscht sehen.“ Und deshalb kehrt Wolf immer abends von 21 Uhr bis früh um 5.33 Uhr. Dann kommt der erste Zug. Zwei bis drei Bahnhöfe schafft er pro Nacht.

Kehrt man den Bahnsteig eher von Ost nach West oder von Nord nach Süd? „Immer dem Zug entgegen, auch wenn keiner kommt“, heißt Wolfs Devise. Man kann ja nie wissen, ob nachts nicht doch ein Bauzug vorbeikommt.

Vor ein paar Tagen hat sich meine Mitbewohnerin verabschiedet, die einen Monat in Berlin gelebt hat: „Was ich schon immer mal fragen wollte: Was sind eigentlich diese kleinen grünen Teile, die man immer in den U-Bahnhöfen sieht?“ Eine wahrlich letzte Frage vor ihrer Abreise.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen