piwik no script img

auf augenhöheDetlef Kuhlbrodt über Kakerlakenrennen

Russische Spielkultur

Wenn man die Friedrichstraße mit seinem Fahrrad entlangfährt, ist man oft völlig erschüttert wegen der geputzten teuren Neuwagen mit dazu passenden Menschen drin, die überall hier rumscharwenzeln. Das ist, als wäre man im Werbefernsehen. Die Westdeutschlandisierung ist unaufhaltbar. Viele finden das widerlich. Viele finden auch Kakerlaken widerlich. Seit 350 Millionen Jahren gibt es sie nun schon auf der Erde. Als Höhepunkt des diesjährigen Sommerfestes der Sergej-Mawritzky-Stiftung im Atelier des in New York und Berlin lebenden russischen Malers und Stiftungsvorstands Nikolai Makarow, gab es am Freitagabend ein Kakerlakenrennen.

Kakerlakenrennen haben in der russischen Spielkultur Tradition. Der Überlieferung nach waren es russische Emigranten, die in Konstantinopel und Paris solche Rennen mit Wetten veranstalteten. Kakerlakenrennen fanden auch Eingang in die Filmgeschichte. Eine berühmte Kakerlakenrennszene gibt es zum Beispiel in dem Film „Beg“, einer Bulgakovverfilmung, die am Freitagabend in Makarovs Atelier gezeigt wurde. Wenn man an Kakerlaken denkt, erinnert man sich auch an Don Martin, jenen berühmten Zeichner der Zeitschrift Mad, der einige wunderschöne Kakerlakengeschichten gemacht hat und vor einigen Monaten verstarb.

Der Künstler Makarow trägt den Namen einer Pistole, lebt seit den Siebzigerjahren in Berlin und gründete in den Neunzigern „das stille Museum“ in der Linienstraße in Berlin-Mitte. Rein äußerlich erinnert er ein bisschen an Dostojewski. Im Gegensatz zu dem großen Romancier trägt er allerdings rote Schuhe und hat seinen Zopf mit einem Blümchen zusammengebunden. Sein Atelier liegt in dem Haus, in dem Wolf Biermann einmal wohnte und der PDS-Sprecher Hanno Harnisch nun wohnt, dessen Ruhe Makarow, mutmaßte jemand, durch viele Feste stören wolle. Makarow hatte am Freitag Geburtstag. Es gab seriöse Bäuche, betörend schöne Frauen, und ein junger Mann mit glasigen Augen trug ein T-Shirt, auf dem stand: „Bomb Eurodisney!“ Den Kern bildeten wohl Teile der russischen Intelligenzija, die sich noch aus Ostzeiten kennt.

Auf einem Tisch lagen, in Klarsichtschachteln, wie man sie für 200 Gramm roten Heringssalat verwendet, die sieben Athleten: Sputnik, ein spannender Läufer, der wie sein Vater schon durch seine spektakulären Aufholjagden auffiel; Dukat, ein Kakerlak, dem es später vergönnt war, seine mangelnde Lebenserfahrung durch den Enthusiasmus der Jugend mehr als auszugleichen; der so aggressive wie gewissenlos-kräftige Ivan, Pamir, Ural, Pionier und Olga, die drei Jahre wegen Doping gesperrt war.

„Are you ready to rumble“, rief ein Mann mit toller Afrolook-Perücke und Smirnoff-Wodka-Hemd. Wetteinsätze wurden getätigt. Mit weißen Handschuhen wurden die Kakerlaken auf eine extra für sie gebaute, etwa 6 Meter lange Bahn gesetzt. Die voneinander abgetrennten Bahnen waren mit Plexiglas bedeckt; bevor es losging, wurden die feuerzeuggroßen Tiere ein bisschen durchgeschüttelt, denn einige schliefen noch. Zwei Kamerateams schoben sich zwischen Zuschauer und Rennbahn. Zum Glück wurde das Rennen auch live übertragen und an die Wand geworfen. Dann ging’s los. Zwei Kakerlaken schliefen nach furiosem Rennbeginn plötzlich ein oder wollten rückwärts laufen, was ein bisschen an Monty Pythons Olympiade der Trottel erinnerte. Dann gewann Olga. Der Literaturagent Hase rechnete die Quoten aus. Noch öfter traten die Kakerlaken gegeneinander an. Als wir gegen eins gingen, schien das Fest erst richtig loszugehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen