piwik no script img

anklage gegen pinochetÜbervater in Nöten

Der Zeitpunkt ist gut gewählt. Die Anklageerhebung und der Antrag auf Hausarrest brechen aus heiterem Himmel über die Anwälte Augusto Pinochets herein. Damit hatte kaum jemand gerechnet. Als die parlamentarische Immunität des Expräsidenten vor wenigen Wochen aufgehoben wurde, galt dies vielen als eine symbolische Verurteilung. Mehr schien in Chile schwer möglich. Vor einer Woche, beim 85. Geburtstag des Diktators a.D., war für Pinochet juristisch die Welt noch in Ordnung.

Kommentarvon INGO MALCHER

Das ist jetzt vorbei. Schon bald wird Pinochet wieder unter Hausarrest stehen. Nur dieses Mal nicht in einem fremden Land, sondern zu Hause, in Chile. Das schmerzt den Exstaatschef, und für seine Anhänger muss es fast schon eine Provokation sein. Pinochet war davon ausgegangen, dass ihm derlei in Chile nicht widerfahren könne. Er irrte. Seine Festnahme in London hat in Chile das politische Klima verändert. Es ist kein Tabu mehr, über Mord und Folter während seines 17-jährigen Regimes zu sprechen. Pinochet ist nicht mehr der Übervater der Nation.

Aber auch der Kläger steht unter Druck. Die Anklageerhebung des Sonderstaatsanwalts Juan Guzmáns ist eine Art Vorwärtsverteidigung. Pinochets Anwälteteam hatte in den vergangenen Wochen mehr als einmal versucht, Guzmán das Verfahren entziehen zu lassen. Der konservative Jurist war der Erste, der eine Anzeige gegen Pinochet angenommen und verfolgt hat. Die Anklage gegen Pinochet ist auch ein Versuch, die Verschleppungstaktik von dessen Anwälten zu durchkreuzen. Bisher war es diesen gelungen, mit einer Reihe von juristischen Formalitäten jeden Schritt in Richtung Prozess aufzuhalten. So ist aus der Frage, ob der Exdiktator vor Gericht stehen wird, ein Tauziehen geworden, bei dem am Ende die Seite siegen wird, die die Feinheiten der Strafprozessordnung besser kennt.

Bis zu einem Prozess gegen Pinochet ist es also noch ein weiter Weg. Aber Chile ist diesem Ziel einen großen Schritt näher gekommen. Immerhin scheint ein Verfahren jetzt zumindest formell möglich – sehr zum Unbehagen der Militärs, die das ganze Wochenende damit zugebracht haben, drohend mit dem Säbel zu rasseln. Aber auch ihnen dürfte klar sein, dass sie damit relativ wenig ausrichten können – zumal die Generäle über subtilere Kanäle verfügen, um etwa einen politischen Handel durchzusetzen. Noch ist die Anklage gegen Augusto Pinochet nicht vom Gericht zugelassen.

ausland SEITE 10

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen