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Archiv-Artikel

amerika im krieg (6) Ein Tagebuch unseres USA-Korrespondenten Michael Streck

Der Krieg macht aus vielen Amerikanern „news junkies“

John Allen saß in einer irischen Kneipe und hatte ein „date“ mit einer Frau, als er am vergangenen Mittwochabend erfuhr, dass die ersten Raketen auf Bagdad abgefeuert wurden. „Ich habe sie einfach sitzen lassen und bin nach Hause gerannt.“ Und dort ist der 32-Jährige seither mit kurzen Unterbrechungen auch geblieben.

John ist Musiker und verfolgt pausenlos Kriegsberichte auf den Kabelkanälen. Bei Wiederholungen surft er im Internet nach neuesten Frontnachrichten. Er schätzt, dass er seit Kriegsbeginn nur 14 Stunden geschlafen hat. „Dies ist eine einmalige Gelegenheit, dass wir die Dinge so nah und detailliert miterleben können.“

Der Krieg macht aus vielen Amerikanern „news junkies“, so das Fazit einer kleinen Umfrage auf Washingtons Straßen. Nicht alle legen natürlich den gleichen Eifer an den Tag, sich rund um die Uhr mit Kriegsberichten voll zu saugen. Aber das Interesse an Informationen direkt vom Schlachtfeld ist enorm. Die Motive sind unterschiedlich. Viele Menschen versuchen sich schlicht auf dem Laufenden zu halten. Für manche ist es eine Art Bürgerpflicht, andere wollen Zeitzeuge sein, und wieder andere spüren eine seltsame Faszination der Bilder, obwohl sie den Krieg ablehnen.

Mary Bodkin wohnt in einem Vorort der US-Hauptstadt. Sie ist gegen den Krieg und dennoch hungrig nach Nachrichten. Überall im Haus laufen Radios, damit sie auch ja nichts verpasst. Nachts stellt sie sich den Wecker und schaltet den Fernseher ein. „Manchmal wünsche ich mir, ich könnte einfach abschalten und für ein paar Stunden meine Aufmerksamkeit auf andere Dinge lenken“, erzählt die 40-jährige Mutter von zwei Kindern. Doch dann käme sie sich verantwortungslos vor. Es sei eine Art von Schuld, die sie süchtig macht. „Ich lebe hier meinen normalen Alltag, bringe die Kinder zur Schule und koche Abendessen, während andere leiden und um ihr Leben bangen. Das ist ungerecht, und ich verspüre eine Art Zwang, mich zumindest ihrem Schicksal zu widmen.“

Ali Konteh ist Taxifahrer. Nie schaltet er sein Radio aus. Auch zu Hause nicht, wenn er schläft. Er will mit dem letzten Stand der Dinge einschlafen und geweckt werden. Seine 22-jährige Tochter hat soeben das Ausbildungslager der Armee beendet und kann nun jederzeit in den Irak abkommandiert werden. „Da ihr mein ganzes Interesse gilt, interessiere ich mich für den Krieg.“ Doch Bilder von toten und gefangenen US-Soldaten, wie sie am Sonntag auch vom US-Sender CBS ausgestrahlt wurden, will er nicht sehen.

Nur wenige lassen den Fernseher aus wie Rhonda Lindo. Sie findet die Aufnahmen zu überwältigend. „Es ist, als wäre man mittendrin“, sagt die Bankangestellte. Doch genau diese scheinbare Unmittelbarkeit fasziniert Jurastudent Nick Ivancic. Er hat die ganze letzte Nacht auf dem Sofa mit Freunden die Kämpfe von Marinesoldaten verfolgt. „Das gab es einfach nicht im Golfkrieg 1991. Das ist super aufregend.“

Die Einschaltquoten von CNN und Fox News sind nach Angaben einer Medienanalyse um 400 Prozent gestiegen.