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Archiv-Artikel

american pie Vom Bruchpiloten zum Skistar

Einst fiel der Amerikaner Bode Miller in Rennen serienweise aus, nun gewinnt er sie meist und jagt Maiers Punkt-Rekord

Die Schlagzeilen der Sportseiten in den USA gehören in diesen Tagen Peyton Manning. Der Quarterback der Indianapolis Colts ist auf dem besten Weg, einen in die Tage gekommenen Rekord der NFL zu brechen. 47 Touchdown-Pässe hat der 28-Jährige in der laufenden Runde geworfen; 1984 hatte Dan Marino von den Miami Dolphins 48-mal in der regulären Saison den entscheidenden Pass an den Mann gebracht. Zwei Spiele hat Manning nun noch, diese Bestmarke zu übertreffen.

Derweil macht in Europa ein Landsmann Mannings von sich reden. Es ist der Skifahrer Bode Miller. In seiner Heimat landen die Berichte über den alpinen Skisport, der als äußerst elitäre Angelegenheit gilt, auf den Sportseiten meist ganz hinten. In den Alpenländern hingegen ist Miller schon vor dieser Saison ein Star gewesen. Seine Ausrüster und Sponsoren kommen zum Großteil aus Europa – und sie erhoffen sich, dass Miller auch in den USA zum Superstar wird. Seine sportlichen Leistungen und seine Biografie geben allemal genug Stoff für eine amerikanische Heldensaga her.

Miller ist seit dem Nachtslalom von Sestriere der erste Skifahrer seit Marc Girardelli, der in einer Saison in allen vier Weltcup-Disziplinen gewinnen konnte. Innerhalb von nur 16 Tagen gewann er in Abfahrt, Super-G, Riesenslalom und Slalom. Vor allem in Europa wird er für diesen Grand Slam des Skisports gefeiert. Geschichten über seine Kindheit, die er ohne Elektrizität und fließendes Wasser bei seinen Hippie-Eltern in der Blockhütte verbracht hat, erscheinen vor allem auf dem alten Kontinent. Hätte Miller bei den Olympischen Spielen am Salt Lake Abfahrtsgold gewonnen, sähe das schon anders aus. Noch immer erinnern sich viele Amerikaner an den Olympiasieger in der Abfahrt von 1984. Bill Johnson, der im Weltcup nie so recht überzeugen konnte, war eine Zeit lang ein gefeierter Mann in den Staaten. Das will Miller auch werden. Dabei setzt er aber nicht unbedingt auf Olympia. „Das sind nur einzelne Rennen“, meinte er vor der Saison. Er hingegen will im Weltcup Geschichte schreiben.

Seine europäischen Werbepartner unterstützen ihn dabei. Vor allem der Wechsel der Skimarke vor der Saison machte Schlagzeilen. Schon der Vertrag mit Rossignol hatte Miller zum wohlhabenden Profisportler mit einem Jahreseinkommen von etwa zwei Millionen Dollar gemacht. Der neue Kontrakt mit Atomic dürfte noch lukrativer sein. Die Ausrüster haben Millers Starpotenzial längst entdeckt. Mit seiner Hilfe wollen sie ihre Marktposition in den USA weiter ausbauen. Während der Markt in Europa als gesättigt gilt, sehen sie in den USA noch Potenzial. Doch der Weltcup führte in den Staaten bislang ein Schattendasein. Immerhin 5.000 Zuschauer verfolgten in Beaver Creek Millers Abfahrtssieg. Nach dem Rennen schrieb der Gewinner stundenlang Autogramme. Vielleicht gibt es ihn ja wirklich schon bald – den Ski-Hype in den USA.

Mit einem Rekord im Weltcup könnte Miller dafür sorgen. Hermann Maier erreichte in der Saison 1999/2000 die magische Punktzahl von 2.000 im Gesamtweltcup. Miller hat nach 14 von 38 Rennen schon 858 Punkte. Einen anderen Rekord hält Miller übrigens schon. Der hat ihm aber allenfalls Spott eingetragen. Der derzeit überragende Skifahrer galt einst nämlich als Bruchpilot. Seine 48 Ausfälle in Folge markieren eine traurige Bestmarke.

Doch selbst wenn Miller Fabelrekorde im Weltcup aufstellen sollte, wird er in den USA nur einen Teil der Aufmerksamkeit auf sich lenken können, die derzeit Manning zuteil wird. Am 26. Dezember spielen dessen Colts gegen die San Diego Chargers. Für einen Skifahrer werden sich an diesem Tag nur wenige interessieren. ANDREAS RÜTTENAUER