american pie : Locker bleiben, jede Minute genießen
Die Atlanta Falcons sind am Wochenende der große Außenseiter, wenn vier Football-Teams um den Einzug in die Super Bowl spielen
Eigentlich hat sich zuletzt immer jemand gefunden, der den Philadelphia Eagles die Tür zur Super Bowl des American Football unverhofft vor der Nase zuschlug. Warum also sollten es diesmal nicht die Atlanta Falcons sein? Die Mannschaft aus Georgia ist der absolute Underdog im Quartett jener Teams, die noch im Rennen um den Titel sind, der am 6. Februar in Jacksonville vergeben wird, jener Stadt in Florida, die im Übrigen ganz gewiss nicht nach Janet Jackson benannt ist.
Absoluter Favorit auf den erneuten Gewinn der Meisterschaft ist der Titelverteidiger, die New England Patriots – erst recht nach der bärenstarken Vorstellung, mit der sie am Sonntag die Indianapolis Colts mit Super-Quarterback Peyton Manning und der besten Offense der National Football League (NFL) abservierten. Aber auch von ihren Gegnern, den Pittsburgh Steelers, die in dieser Saison erst ein Spiel verloren haben, ist zu erwarten, dass sie nicht noch einmal so schwach auftreten wie zuletzt beim glücklichen Erfolg gegen die New York Jets. Da spielte ihr hochgelobter Quarterback Ben Roethlisberger erstmals wie der Liga-Neuling, der er ist, und die Steelers waren eine Handbreit vom Aus entfernt. Beim entscheidenden Fieldgoal-Versuch der Jets klatschte der Ball jedoch gegen die Querstange, und in der Verlängerung setzte sich Pittsburgh doch noch mit 20:17 durch.
Erheblich souveräner präsentierten sich beim Sieg gegen die Minnesota Vikings die Philadelphia Eagles, die am Sonntag dennoch zum tragischen Running Gag der NFL werden können. Zum vierten Mal in Folge stehen sie im Halbfinale, zum dritten Mal dürfen sie im eigenen Stadion antreten. Geradezu verzweifelt versuchen sie, die bösen Erinnerungen an die letzten drei Pleiten zu verdrängen und den armen Falcons einzureden, dass sie diejenigen mit den schwachen Nerven sein müssten. „Ich glaube einfach, es ist unser Jahr“, sagt Eagles-Linebacker Jeremiah Trotter. „Wir bleiben locker, wir sind tödlich“, redet sich Safety Brian Dawkins Mut ein. Dies, obwohl mit Receiver Terrell Owens wegen einer Knöcheloperation ausgerechnet jener Spieler ausfällt, der vor der Saison geholt wurde, um endlich das große Ziel zu erreichen. Der Geist des selbstbewussten und leicht großmäuligen Owens scheint dennoch in die Eagles gefahren zu sein. Quarterback Donovan McNabb meint jedenfalls grinsend, er freue sich auf das Spiel: „Auf meinen Schultern ist kein Platz für noch mehr Druck. Ehrlich gesagt, lastet auf den Atlanta Falcons mehr Druck. Wir haben Heimvorteil. “
Die Falcons können über derartige Versuche, die Favoritenbürde loszuwerden, nur lachen. „Wir gehen völlig locker an die Sache heran“, sagt Chefcoach Jim Mora, schließlich habe niemand erwartet, dass sein Team überhaupt so weit komme. Was keineswegs heißt, dass Atlanta nicht gewinnen will. „Wir müssen die Gelegenheit beim Schopf ergreifen“, sagt Quarterback Michael Vick. Der 24-Jährige war noch nicht dabei, als die Falcons 1998 mit dem Einzug in die Super Bowl den bisher größten Erfolg ihrer 39-jährigen Geschichte geschafft hatten. Damals schlugen sie im Halbfinale die als übermächtig geltenden Minnesota Vikings, gingen dann jedoch in der Super Bowl sang- und klanglos gegen John Elways Denver Broncos ein. Nur zwei Spieler aus diesem Team sind übrig, einer von ihnen ist Linebacker Keith Brooking, der beim Match in Philadelphia vor allem eines möchte: „Jede Minute genießen.“
Die Falcons haben eine für den Gegner sehr unangenehme und im Football überaus hilfreiche Eigenschaft: Sie rennen alles nieder. Mit dem besten Laufspiel der Liga gesegnet, überwältigten sie zuletzt auch die St. Louis Rams. Beim 47:17 erliefen sie stolze 327 Yards. Den Schlüssel der Offensive bildet Michael Vick, ihn auszuschalten ist für die Eagles, die eine weit bessere Defense als die Rams haben, eine absolute Notwendigkeit. Da Vick selbst sehr laufstark ist, bindet er mehr Gegenspieler als andere Quarterbacks und die Spielzüge der Falcons sind schwerer auszurechnen. Besonders plastisch beschreibt das Laufspiel der eigenen Offense Falcons-Abwehrmann Patrick Kearney: „Es ist, als bohrt dir jemand ein Loch ins Herz und das Blut rinnt langsam heraus.“ Genauso dürften sich die Fans der Eagles fühlen, wenn auch der vierte Anlauf zur Super Bowl im tragischen Déjà-vu endet. MATTI LIESKE