american pie : Sonderbare Seefalken
Mit den Seattle Seahawks spielt das etwas andere Football-Team am Sonntag um die Super Bowl
Sicherlich kennen Sie diesen Typ. Er hatte in der Schule gute Noten in Mathe und Physik, verbringt seine Freizeit am liebsten vor dem Computer, er ist linkisch, unsportlich und in sozialen Situationen unbeholfen. In den USA nennt man solche Leute Geeks. Erst jüngst hat sich eine neue Firma „Geek Squad“ genannt. Die Geek Squad ist eine schnelle Eingreiftruppe von Computer-Bastlern, die zu Ihnen nach Hause kommen und jedes nur denkbare Problem mit dem PC löst.
Seit neuestem wird jedoch auch eines der besten Teams der US-Football-Liga NFL „Geek Squad“ genannt. Die Seattle Seahawks, die am kommenden Sonntag gegen Pittsburg um die Super Bowl spielen, passen so überhaupt nicht in das Bild, das man sich gemeinhin von rauen amerikanischen Nationalsport macht: „Der Quarterback hat eine Glatze. Der Runningback spielt Schach. Und der Besitzer ist Mitbegründer von Microsoft“, schrieb die New York Times.
In der Tat fallen die führenden Männer der Seahawks deutlich aus der Rolle. Team-Besitzer Paul G. Allen etwa wirkt mit seinen klobigen weißen Turnschuhen und seiner großen Brille immer ein wenig so, als hätte er sich verirrt, wenn er im Football-Stadion auf der Tribüne sitzt. Peter Steinbrueck, Stadtverordneter von Seattle, beschreibt den auf 20 Milliarden Dollar Privatvermögen geschätzten Computerunternehmer so: „Er ist ein reicher kleiner Junge, der sich weigert erwachsen zu werden.“ Unter anderem hat Allen in Seattle das Qwest Stadion mit 100 Millionen Dollar mitfinanziert. Dabei nervte er die Architekten so lange, bis sie in der Arena exakt die Atmosphäre reproduziert hatten, die er aus seinen Studententagen kannte.
Freilich wollte Allen auch, dass seine Mannschaft, die seit 1984 nicht mehr im Super-Bowl-Finale gestanden hat, in diesem Stadion gewinnt. Dabei halfen ihm wiederum seine Management-Talente, mit Hilfe derer er Microsoft zu einem der erfolgreichsten Unternehmen der Welt gemacht hatte. Als es im vergangenen Jahr zwischen dem Team-Präsidenten Bob Wilsitt und dem Trainer Mike Holmgren knisterte, musste Allen eine Entscheidung treffen. Er erkannte, wer für die Mannschaft der Wichtigere ist, und ließ ohne zu zögern den Präsidenten gehen. Unter dem neuen Präsidenten, Tim Ruskell, läuft es jetzt rund in Seattle.
Genau wie sein Chef hat Quarterback Matt Hasselbeck Züge eines ebenso linkischen wie brillanten Jungen, der nirgends so richtig dazu passt. Hasselback taucht zu Pressekonferenzen schon mal in kurzen Hosen mit kniehohen Strümpfen auf oder mit einem rosa Hemd und rosa Einstecktuch. Er plappert ungeniert heraus, was er gerade denkt, auch wenn es wirr ist, und schert sich nicht darum was die Leute denken. Bei seiner vorherigen Mannschaft, den Green Bay Packers, trieb er den Quarterback-Coach zur Weißglut, weil er ständig mit ihm über das System diskutierte und permanent alles umstellen wollte, anstatt zu tun, was ihm gesagt wurde. Im College sagte er einmal öffentlich einem Trainer, der ihn nicht aufstellen wollte, er solle sich eine rote Nase aufsetzen, weil er ein Clown sei. „Er ist ein Schlaumeier“, sagt sein Mannschaftskollege Robbie Tobeck. „Aber wir haben uns an ihn gewöhnt.“ Wenn Hasselbeck etwa seinen massigen Offensive Linemen, die ihn beschützen, einige hundert Pfund Fleisch statt wie branchenüblich Uhren oder Autos schenkt, dann versteht man den Scherz in Seattle. Ebenso wie man sich nicht darüber wundert, dass Running Back Shaun Alexander Turnierschach spielt.
So sehr Allen, Hasselbeck und Alexander in der NFL-Kultur Außenseiter sind, so gut passen sie nach Seattle. Die Stadt ist ein Hightech-Zentrum, es wimmelt nur so vor Geeks – Ingenieure, Programmierer, Naturwissenschaftler. Für Football interessierte man sich bis vor kurzem hingegen nur wenig. Noch eine Woche vor dem Super-Bowl-Halbfinale konnte Matt Hasselbeck völlig unerkannt in ein Restaurant gehen. Nach der Super Bowl dürfte sich das wohl ändern. SEBASTIAN MOLL