american pie: Trash Talk vor dem 200-m-Duell bei den US-Trials
Greene: „Ich will ihn kriegen“
The day, the music died
Michael Johnson, Weltrekordhalter über 200 und 400 Meter, pflegt nicht nur auf der Bahn gnadenlos mit seinen Konkurrenten umzugehen, er liebt es auch sonst, sie ein wenig zu triezen. Als er vor vier Jahren bei Olympia in Atlanta ständig gegen Carl Lewis stänkerte, vermutete der erfolgreichste Leichtathlet aller Zeiten wohl zu Recht, dass hinter Johnsons Vorgehen „ein Marketing-Plan“ stehe. Die Leichtathletik ist in den USA gemeinhin nicht sehr populär, Streit, Rivalität und kleine Gemeinheiten heizen ohne Zweifel das Interesse an.
Nach seinem Doppelsieg in Atlanta über 200 und 400 Meter balgte sich Michael Johnson mit 100-m-Sieger Donovan Bailey medienwirksam um den Titel des schnellsten Menschen der Welt, was in ein absurdes 150-m-Rennen mündete, das Johnson verletzt abbrach. Inzwischen hat sich der 32-Jährige die Angehörigen des von Lauf-Guru John Smith gegründeten Hudson Smith International Track Club (HSI) als Lieblingsfeinde auserkoren.
Vor den Trials, den US-Ausscheidungen für die Olympischen Spiele in Sydney, die seit dem Wochenende in Sacramento stattfinden, brachte er mit einer Kolumne in USA Today vor allem Sprint-Weltmeister Maurice Greene und dessen Teamkollegin Inger Miller in Rage. Miller werde Schwierigkeiten haben, sich für Olympia zu qualifizieren, schrieb Johnson, Greene habe kein Selbstvertrauen, sei unbeständig und überhaupt fehle es ihm an Reife. Dann spottete er noch ein wenig über die musketierartige HSI-Gruppenphilosophie des gemeinsamen Siegens, denn Leichtathletik sei ja immerhin ein Individualsport.
Die Reaktion kam prompt. Johnson solle vielleicht seine neue Frisur aufgeben, riet Inger Miller, nachdem sie sich als Zweite hinter Marion Jones für Sydney qualifiziert hatte, „die Locken seien offenbar zu fest geknüpft“. Maurice Greene pflichtete schmunzelnd bei. Das mit Johnsons Frisur sei keine schlechte Idee, vielleicht käme ja dann „ein wenig Verstand in seinen Kopf“. Zufrieden mit dem Erreichten, konterte Michael Johnson, er werde sich nicht auf die Ebene persönlicher Kommentare begeben, so wie die HSI-Leute mit ihren Bemerkungen über seine Frisur, die ihm im Übrigen gut gefalle.
Geschafft hat er, dass das Interesse am 200-m-Duell zwischen Johnson und Greene zum Abschluss der Trials am Sonntag immens ist. „Ich will ihn kriegen“, sagt fast hasserfüllt Maurice Greene, der erst zweimal über 200 m gegen Johnson gelaufen ist, das letzte Rennen 1998 aber gewonnen hat. Johnson, der die 400 m in Sacramento spielend in 43,68 Sek. für sich entschied, spielt derweil das Unschuldslamm. „Ich bin Athlet, kein Trash Talker. Mit allem, was ich gesagt habe, habe ich mich nur verteidigt.“
Gute Einschaltquoten und ein voll besetztes Hornet-Stadium sind garantiert, wenn die beiden Streithähne am Sonntag die Bahn betreten, doch auch sonst kann die Leichtathletik in den USA zufrieden sein mit dem Verlauf der Trials. An den ersten Tagen kamen jeweils über 23.000 Zuschauer und Jackie Joyner-Kersee, die zum sechsten Mal an einer Olympiaqualifikation teilnahm, im Weitsprung jedoch scheiterte, meinte: „Die Atmosphäre ist besser als bei allen anderen Trials.“ Selbst beim Kugelstoßen sei das Publikum begeistert mitgegangen. „Es heißt, die Leichtathletik ist tot“, sagt 100-m-Weltrekordler Maurice Greene, „doch die Leichtathletik ist nicht tot.“ Zumindest nicht im Olympiajahr und mit einem Michael Johnson als Sonderbeauftragten für Public Relations. MATTI LIESKE
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