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Archiv-Artikel

am po IOC Confidential

Es galt als eines der bestgehüteten olympischen Rätsel, aber wenn wir nicht bloß geträumt haben, scheint es jetzt gelöst. Dieses letzte große Rätsel lautete so: Wie funktioniert das eigentlich, wenn einer seine Olympiamedaille zurückgeben muss?

Während man das Zeremoniell der Medaillenverleihung zur Genüge kennt, ist über die Praxis des Medaillenentzugs nichts bekannt. Das Fernsehen überträgt den Akt nie. Wenn einem Olympioniken eine Medaille aberkannt wird und er diese zurückgeben muss, erhält man nur sehr spärliche Informationen. So auch neulich in Turin, als es die russische Biathletin Olga Pylewa erwischte. Wegen der Einnahme verbotener Stimulanzien habe sie die Silbermedaille im Biathlon über 15 Kilometer wieder abgeben müssen. Das war’s.

Fragen Sie nicht, wer uns den entscheidenden Tipp gab! Fragen Sie auch nicht nach dem Weg an diesen abgelegenen Ort irgendwo bei Turin. Wir wurden im geschlossenen Kofferraum eines Autos dorthin gefahren. Obwohl es dunkle Nacht war, als sie uns rausließen, mussten wir blickdichte Skibrillen aufsetzen, um dann noch mal zehn Minuten lang über unwegsames Terrain zu stolpern. Dann endlich durften wir die Brillen abnehmen. Wir befanden uns vor einem schäbigen Wohncontainer, der weitab jeglichen Schusses auf einer öden Brache stand. Aber das war sie offenbar: die legendäre Medaillenrückgabestelle des IOC. Obgleich schon seit etlichen Spielen im portablen Einsatz, hatte sie bisher kein Mensch zu Gesicht bekommen.

Die Erbärmlichkeit dieser Einrichtung sei beabsichtigt, erklärte man uns. Wer widerrechtlich eine Medaille kassiert, soll wenigstens deren Rückgabe im angemessenen Rahmen absolvieren müssen. Aber warum die Heimlichkeit? Man will die olympischen Sünder bei dem demütigenden Akt des Medaillenentzugs nicht noch unnötig vorführen, so die Erklärung. Diese armen Menschen seien durch ihre Vergehen und die daraus resultierenden Folgen gestraft genug.

So weit, so human. Auch jetzt durften wir nicht etwa einer echten Medaillenrückgabe beiwohnen. Ihre Abwicklung wurde uns lediglich erläutert. Und das war erschütternd genug: Von einer Standpauke ging da die Rede, welche ein besonders böse dreinblickendes IOC-Mitglied den Medaillenerschwindlern hält, von der Landesfahne des überführten Athleten, die symbolisch eingeholt wird, von der rückwärts gespielten Nationalhymne.

Nein, ein solch niederschmetterndes Ritual soll den olympischen Spirit auch weiterhin nicht beeinträchtigen und nur in aller Abgeschiedenheit abgehalten werden. So die einhellige Meinung derer, die die sagenumwobene Medaillenrückgabestelle des IOC erstmals erlebt bzw. sich immer noch nicht ganz sicher sind, ob sie vielleicht nicht doch nur von ihr geträumt haben.

FRITZ TIETZ