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alte säcke von morgen

von DIETRICH ZUR NEDDEN

Wir juckelten auf der Route 299 durch die Ausläufer der Rübensteppe. Von den Äckern war nicht viel zu sehen, weil Schnee sie bedeckte, der einmal weiß gewesen sein musste, wenigstens solange er im Fallen gewesen war. Konnte aber auch am Tageslicht liegen, das diese Bezeichnung weiß Gott nicht verdiente. Überall Grautöne. Der Laster vor uns sprühte Matschiges gegen die Windschutzscheibe, die wir deshalb kurzfristig zu einer Matschschutzscheibe adelten. Eine Zeitlang machte es Spaß, das Wort mit den drei Es-Ce-Ha laut auszuschprechen. In den Dörfern, durch die wir fuhren, schien niemand zu Hause zu sein.

Im Rekorder spielte Bob Dylan, in erster Linie sang er, und zwar davon, wie der Mensch allen Tieren Namen gegeben hatte. Nicht faul, hatte der Mensch im Laufe der Millennien das Namensgebungsverfahren beträchtlich ausgeweitet, auf Diskotheken zum Beispiel. Das bewies die nächste geschlossene Ortschaft. „Tanzdiskothek Florida“ stand auf einem Schild, und ich fragte mich, ob es dann nicht auch eine „Nichttanzdiskothek Oregon“ geben müsste. Von wegen ausgleichender Gerechtigkeit. Muss es natürlich nicht. Eine „Engtanzdiskothek Alaska“ wär auch nicht schlecht, doch in dem Moment hatten wir die Siedlungsgrenze erreicht, und von Bob Dylan war nichts mehr zu hören.

So wie wir räumlich zwischen Dörfern uns bewegten, so befanden wir uns zeitlich zwischen den Jahren. Aufräumen, umräumen, Bilanz ziehen. In einer tauchte Bob Dylan abermals auf, in der Rubrik Solist/In des Jahres des deutschsprachigen Rolling Stone. Neben dem in diesem Jahr 60 werdenden Dylan fanden sich der in diesem Jahr 56 werdende Neil Young auf dem ersten, danach der in diesem Jahr 69 werdende Johnny Cash, und hinter Dylan auf dem vierten Rang der in diesem Jahr 54 werdende David Bowie. Statt seiner müssten zwar unbedingt Willie Nelson und Van Morrison aufgenommen werden, Dylan würde ich ob seiner Einzigartigkeit zurzeit jedes Jahr jenseits aller Aktualität auf den ersten Platz setzen, aber diese nicht besonders originellen Einwände machten es ja nicht besser, im Gegenteil: Es handelte sich um eine Versammlung älterer Herren. Und die gibt Anlass zum Grübeln.

War diese Liste eine vorbereitende Botschaft dessen, was da kommen wird? Sollten Kinder- und Jugendverherrlichung in Zwo-Eins, wie der Taxifahrer neulich das beginnende Jahr nannte, etwa endlich ein Ende haben? Sind wir alten Säcke endlich dran? Wird der Rolling Stone vorzugsweise in Altersheimen gelesen? Setzt sich Qualität durch? Sind Listen doof? Und obendrein gelogen, da man ja weiß, wie wenige Leser bei den Polls mitmachen, sodass sich die mickrige Wahrheit nur durch Prozentzahlen verschleiern lässt?

Fragen, Fragen, Fragen. Und das Bleigießen am Silvesterabend gab zum Glück auch keine Antwort. In der „Auslegung der Deutung“ stand neben dem Wort „Auto“ überraschenderweise „langes Leben“. So schnell kann man gar nicht fahren, dass einen die Rätsel nicht einholen. Wie würde der Schnee von morgen aussehen?

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