piwik no script img

allein unter frauen

von CAROLA RÖNNEBURG

Frau Schneider hatte es geschafft. Sie war Geschäftsführerin und ihr Bürosessel aus Leder. Sie arbeitete hart. Wenn man spät abends auf der Straße an ihrem Fenster vorbeiging, brannte dort immer noch Licht. Trotzdem gönnte sie sich auch kleine Freuden.

Manchmal streifte sie in der Mittagspause durch ihre Lieblingsboutiquen. Sie kehrte stets mit leeren Händen zurück – was sie sich ausgesucht hatte, ließ sich Frau Schneider am Nachmittag ins Haus liefern. Wenn sie ihre großen glänzenden Papiertüten in Empfang genommen hatte, rief sie gern ihre weiblichen Angestellten in ihr Büro, um ihnen die neuen Sachen zu zeigen. „Ihr müsst unbedingt mal bei Joop gucken“, sagte sie dann, „da ist noch ein ganz schickes Kostüm, das kostet jetzt nur noch 1.200 Mark.“ Ihre Angestellten verdienten etwas mehr als das im Monat, aber das hatte Frau Schneider vergessen. Sie gab gern Geld aus, aber nicht für ihr Personal. Das war es auch nicht wert. Am schlimmsten war das Chaos: Die Einzige, die sich mit Arbeitsabläufen und deren Optimierung beschäftigte, war Frau Schneider. Manchmal setzte sich Frau Schneider nach Feierabend an einen Arbeitsplatz. Sie führte ein imaginäres Telefonat, machte sich mit verschlossenem Füllfederhalter Notizen und langte dann nach rechts in den Aktenschrank, um Unterlagen ihres Gesprächspartners hervorzuholen. Mit einem Griff ging das aber nicht. „Es muss aber mit einem Griff gehen“, sagte sie dann am nächsten Tag zu ihrer Angestellten. „Ihr müsst alle Verträge sofort parat haben, wenn euch jemand anruft. Ich verstehe nicht, wie man so unorganisiert arbeiten kann.“

Dann räumte Frau Schneider um. Der Aktenschrank wurde näher an den Schreibtisch gerückt. Alles, was kein Aktenordner war, wurde in einen anderen Schrank umgeräumt. Alles, wofür im Schrank kein Platz mehr war, kam ins Regal. Zum Schluss ordnete Frau Schneider auf dem Schreibtisch die Notizblöcke, die Stifte und den Taschenrechner im rechten Winkel zueinander an. „Das ist ordentlicher und sieht hübscher aus.“ Wenn sie wieder vergessen hatte, dass sie das Büro ihrer Angestellten neu organisiert hatte, kam Frau Schneider vorbei, um etwas in der Ablage nachzusehen. Dabei fiel ihr dann auf, wie nah der Aktenschrank am Schreibtisch stand. Man konnte überhaupt nicht mehr zwischen den beiden Möbeln hindurchgehen. Außerdem fand sich auf einmal wichtiges Arbeitsmaterial im Regal und nicht im Schrank. Kein Wunder: Im Aktenschrank standen ja auch nur Akten. Schlechte Büroorganisation aber verursachte bei Frau Schneider schlechte Laune. Sie ließ ihre Angestellte aufstehen, setzte sich auf deren Stuhl und demonstrierte ihr anhand eines imaginären Kundengesprächs, wie unsinnig, ja vollkommen chaotisch dieser Arbeitsplatz organisiert war. Während sie sprach, brachte sie das Telefon in eine rechtwinklige Position.

Noch schlimmer als das Chaos war die Fluktuation. Wenn Frau Schneider ihre Angestellten endlich zu perfekten Büroarbeiterinnen gemacht hatte, gingen die weg und machten woanders Karriere.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen