agenda 2010 : Zuschauer beim Börsencrash
PETER ORTMANN ist Kulturchef der taz nrw. Er hat selbst den Börsencrash 1987 glimpflich überstanden.
Knie nieder, Nichts
und danke der Welt
Dass sie dir ein Zuhause gibt
und dich am Leben hält
Und dann erhebe dich, Prinz,
nutze deine Macht gut
Nimm die Lektionen
des Lebens in Demut. (Thomas D)
Die richtige Börse boomt mal wieder. Es bleibt Hausse-Zeit. Doch der letzte Crash ist erst ein paar Wochen her. Banker nennen das lieber Kursbereinigung. Macht sich beim Kunden besser. Denn nur wenn gekauft oder verkauft wird, verdienen die Institute Geld und das immer. Eine Gelddruckmaschine ist für sie der Aktienmarkt. Er funktioniert über kurzfristige Fantasie oder mit langem Atem. Hat André Kostolany gesagt – das hat bis heute Gültigkeit. Denn nur wer bei schnell fallenden Kursen aus Not verkaufen muss, verliert und das kann dann richtig weh tun.
Auch die Betreibergesellschaft für die Europäische Kulturhauptstadt 2010 ist so aufgebaut. Sie ist allerdings Börse und Aktiengesellschaft zugleich, was die Gewinnmitnahme erheblich vereinfacht, auch wenn sich die Macher die lustige Betriebsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegeben haben. Haften wollen sie nämlich nicht. Aber bestimmen: Der Aufsichtsrat bestimmt die Direktive, die Geschäftsführer bestimmen die Pöstchen, die Direktoren über ihre kulturelle Produktlinie. So sollen die Aktionäre verdienen.
Aber das sind ja wir, die Bürger. Über den Regionalverband Ruhr (RVR) sind wir sogar Mehrheitseigner an der AG genannt GmbH. Und die NRW-Landesregierung hat uns mit ihrem Anteil auch zu dienen. Gut, die Essener Bürger sind etwas mehr beteiligt, die müssen noch mal extra sechs Millionen Euro blechen, aber dafür haben sie auch jetzt schon diesen enormen Imagegewinn plus Marketing-Standortvorteil, plus einen Geschäftsführer, der ja auch Kulturdezernent der Stadt ist, plus einen Direktor, der mal Rock-Beauftragter in Essen war – gemeint ist natürlich Musik, nicht Mode. Aber das soll uns ja auch egal sein, uns interessiert ja nur der Shareholder-Value. Was von unseren Steuergeldern an Anteilen gekauft wurde, soll eben Rendite bringen. Aber da gibt es für unsere Kultur-Aktien im Moment nur Fantasie und keine Fakten. Dennoch weiter zukaufen? Vielleicht sogar Optionsscheine? Die mit dem richtigen Hebel. Natürlich gibt es die auch.
Dummerweise sind sie bereits ausverkauft und werden auch nicht mehr gehandelt. Optionsscheine auf die Kulturhauptstadt halten neben den Großstädten die Sponsoren und die Landesregierung. Kleinst-Anleger sind nicht vorgesehen, schon gar nicht als kritische Aktionäre. Wir dürfen nur die Kursentwicklung abwarten und hoffen, dass unsere Aktien nicht den Kanal runter gehen. Prognose: Es werden Lektionen des Lebens in Demut.
PETER ORTMANN