agenda 2010 : Cooles Halloween 2007
PETER ORTMANN ist Kulturchef der taz nrw. Noch heute hasst er Omas Spitzentaschentücher voller 4711.
This is a weeping song
A song in which to weep
While all the men & women sleep.
This is a weeping song
But I won‘t be weeping long.
Long, long time ago. Es waren harte Zeiten. Heute gehen wir zu Tante Tätta. Der ultimative Schock am Sonntag. Denn das bedeutete Angst getränkte Schweißausbrüche und die ewige Furcht vor angespuckten, aber 4711 getränkten Spitzentaschentüchern. Dazu die phänomenale Aussicht auf einen Nachmittag des Stillsitzens. Denn bei Tante Tätta und Onkel Kalla war das Wohnzimmerküchenklo wochentags immer mit Bettlaken abgedeckt. Nur Sonntags war das Gesamtkunstwerk zu bewundern. Aber jeder noch so kleine Kratzer auf dem Mobiliar trug einen Namen. Meist war es meiner. Ich denke heute, die beiden hatten wohl mehr Angst vor mir, als ich vor ihnen. An Bilder an den Wänden kann ich mich kaum erinnern, damals hatte man dort lieber falsche Blumen in kleinen Vasen aufgehängt. Wer aber in der Verwandtschaft auf sich hielt, hatte eine original bemalte Tonbüste der Nofretete. Wie viele wir „bösen Buben“ davon mit alten Tennisbällen runtergeschossen haben, darüber decke ich leise den Mantel der Geschichte.
Später wurden die ollen Büsten dann von originalen Ölbildern mit Schwarzwaldmädeln abgelöst. Selbst erstanden im dunklen Tann. Die waren zwar nicht besser fürs Auge, deckten aber großflächiger die Tapeten ab und waren oft resistenter gegen fliegende Tennisbälle. Angst regierte eben immer unser jugendliches Treiben, auch wenn die Strafen milde ausfielen. Angst regiert momentan auch das kulturelle Ruhrgebiet. Sorge breitet sich aus, den richtigen Zug in die Europäische Kulturhauptstadt zu verpassen. Doch Furcht ist ein schlechter Ratgeber, damit gerät man schnell an defätistische Einflüsterer wie mich oder in die Psychiatrie. Besser ist selbstbewusst kämpfen, wenn man von seiner kulturellen Qualität überzeugt ist. Und nur keine Angst. Es gibt bereits jetzt einen Zeitpunkt für den Einsatz angespukter Spitzentaschentücher für die Tränen der Kulturschaffenden im Ruhrgebiet. Es ist ausgerechnet der 31. Oktober. Nur bis dahin können Ideen und Konzepte bei der Ruhr 2010 GmbH eingereicht werden. Der Termin ist mit Bedacht gewählt. Es ist der Tag vor Halloween, der Nacht der Geister und Toten, wie Tante Tätta und Onkel Kalla. Eine Nacht zum Fürchten also.
Und ein Jahr zum Vergessen. Denn erst 12 Monate später soll dann ein erster Programmentwurf vorgestellt werden. Vielleicht auch am 31. Oktober? Würde passen, der Termin könnte für einige ein richtiger schwarzer Freitag werden. Für „Trick or Treat“ ist es dann zu spät, der Kultur-Zug ins Licht ist weg. Bleibt nur noch die Oktober-Revolution.
PETER ORTMANN