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Das Verbrechen als revolutionäre Praxis: Wie es Andreas Baader gelang, seine kriminelle Hochstaplerexistenz in eine politische Mission umzuwidmen. Ein Vorabdruck
VON KARIN WIELAND
Der Frankfurter Kaufhausbrandprozess hat sie bekannt gemacht. Die Bilder von den scheinbar unbeschwerten jungen Menschen auf der Anklagebank waren in allen wichtigen Zeitungen gewesen. Den Medienstars aus der Kommune 1 war in Andreas Baader und Gudrun Ensslin ernsthafte Konkurrenz erwachsen. Vor allem die Selbstinszenierung des Paares verfing. Bislang waren immer nur Demonstrierende oder Diskutierende abgebildet gewesen, streng blickende Männer oder Politclowns, doch ein offensichtlich glücklich verliebtes Paar, das sich zur Praxis revolutionärer Politik bekannte, das war neu.
Andreas Baader sieht auf den Bildern entspannt aus, er streichelt zärtlich seine Geliebte, lächelt ihr zu. Er braucht eigentlich weder die Havanna noch die Brecht-Pose wie die beiden anderen Angeklagten, denn ihm gehört die einzige Frau. Sie hat sich für ihn und ihren Auftritt schön gemacht. Ihr Wille zur Stilisierung ist deutlich erkennbar. Ensslin gab die Existentialistin, hatte die Augen stark schwarz geschminkt, und sich für diesen Anlass extra eine rote Lacklederjacke zugelegt. Während die Männer in ihren Aufzügen anknüpfen an Figuren der Weimarer Republik, zieht Ensslin als Existentialistin eine Verbindung zur französischen Résistance. Das ist der politische Gehalt ihrer Aufmachung. Durch diesen Auftritt hatte sie sich in die erste Reihe der Revolutionäre gespielt, sie genoss offensichtlich ihre Rolle als Kämpferin und Liebende.
Als sie im Sommer 1969 vorläufig entlassen wurden, stand für beide fest, dass sie da weitermachen mussten, wo sie aufgehört hatten. Nun traf es sich, dass Baaders Lebenserfahrungen perfekt mit der Entdeckung des neuen revolutionären Subjekts zusammenpassten. Die APO nahm sich der Fürsorgezöglinge an, die als „verwahrlost“ galten und zu einer staatlichen Ersatzerziehung bestimmt waren. Mit „Verwahrlosung“ bezeichnete man den Prozess der Abweichung von den Vorstellungen bürgerlicher Normalität und Ordnung. Die dissozialen Jugendlichen wurden vonseiten der Linken zu Helden erklärt, man sah die Ursachen ihrer Dissozialität in der „sozio-ökonomischen Beschaffenheit der kapitalistischen Gesellschaft“. Ihr auffälliges Verhalten galt „als unbewusster Protest gegen die herrschenden Verhältnisse“.
Andreas Baader, der sich von klein auf prügelte, der von sämtlichen Schulen verwiesen worden war und etliche Jugendstrafen hatte absitzen müssen, war einer von ihnen. Baaders immer wieder beschworene Gleichsetzung von politischer und krimineller Gewalt ist ohne diese Entdeckung des Fürsorgezöglings als revolutionäre Avantgarde nicht möglich. Er bekam dadurch nicht nur eine Entschuldigung für sein wenig erfolgreiches Leben geliefert, sondern konnte sich zum Revolutionär auserwählt fühlen.
Hannah Weitemaier, die in jenen Jahren ebenfalls mit ehemaligen Fürsorgezöglingen arbeitete, erinnerte sich in einem Interview an Baader. Sie gibt an, die Jugendlichen hätten in ihm einen „Hero“ gesehen. Baader habe eine „Ausstrahlung wie ein Gangsterboss“ gehabt und gerne randaliert. Bei der „Befreiung“ der Fürsorgezöglinge aus der Erziehungsanstalt Staffelberg nimmt er zusammen mit Gudrun Ensslin eine führende Rolle ein. Rund siebzig der Heimbewohner flüchten nach Frankfurt, wo sie bei ihren revolutionären Förderern unterkommen.
Baader gewöhnt die ihm anvertrauten Jungs an seine Art zu leben: Arbeiten gehen war verpönt, man wollte sich amüsieren. Und das am liebsten auf Kosten der anderen. Baader veranstaltete nächtliche Autorennen durch die Frankfurter Innenstadt, verteilte großzügig Geld, erzählte seine Geschichten, sprengte Partys und sorgte dafür, dass sie unangenehm auffielen. Andreas Baader suchte auch beim Reden den körperlichen Kontakt und galt vielen als zu aufdringlich. Die Jugendlichen mochten das, denn bei Baader war „immer was los“; Regeln zu verletzen und anderen wehzutun, das war für ihn revolutionäre Politik.
Gudrun Ensslin sorgte für den intellektuellen Anstrich des Ganzen, sie übernahm sehr erfolgreich die Verhandlungen mit den Behörden. Es gelang ihr, den Leiter des Frankfurter Jugendamtes für ihr Projekt zu gewinnen. Sie gründeten einen Trägerverein und mieteten sechs Wohnungen an. Das war die aus öffentlichen Geldern bezahlte Basis, von der aus Baader seinen „Großangriff auf die Heime“ starten wollte.
Einen Monat später befindet er sich auf der Flucht. Der Revisionsantrag war abgelehnt worden, Baader will auf keinen Fall ins Gefängnis. Reumütig eine Reststrafe abzusitzen kollidierte mit seinem Selbstbild als Revolutionär. Er glaubt sich in einer internationalen Revolutionsgemeinschaft aufgehoben und begibt sich auf große Fahrt.
Er weiß nicht genau, wo er Anschluss suchen soll und fährt zunächst nach Paris. Mit von der Partie sind Gudrun Ensslin und Thorwald Proll. Dessen Schwester Astrid Proll bringt Baader einige Zeit später seinen weißen Mercedes nach Paris. Sie kommen zu spät. Der Sommer, in dem die Fantasie an die Macht kommen sollte, ist längst vorüber. Sie wohnen in einer großen, leeren Wohnung auf der Île de la Cité mit Blick auf Notre-Dame, hören Janis Joplin, rauchen, trinken weißen Rum und langweilen sich. Es handelte sich um die Wohnung des berühmten Journalisten Régis Debray, der nach Bolivien gegangen war, um Che Guevara zu unterstützen. Debray gehörte zur internationalen Avantgarde, sein Buch „Revolution in der Revolution. Bewaffneter Kampf und politischer Kampf in Lateinamerika“ war 1967 ins Deutsche übersetzt worden. Debray verehrte Castro, weinte über Guevaras Tod, weihte sein Leben der Revolution und glaubte, dass eine Frau nur einen Mann lieben kann, der für die Revolution kämpft.
Die unmittelbare Nähe zu diesem glamourösen und gefährlichen Leben eines Mannes, der Bourgeois und Revolutionär in einem war, musste Baader beeindrucken. Er gehörte nun einem gewissen Milieu an, das über Geld und Einfluss verfügte. Gleichwohl handelte es sich um Genossen, die die Revolution und damit die Macht wollten. Doch die Leute mit Einfluss blieben im Dunkeln und anonym. Man stellte den jungen Deutschen die Wohnung zur Verfügung, ansonsten interessierte sich niemand für sie. Sie verprassen Geld, kümmern sich nicht um Nachschub. Sie lebten wie Tagträumer, einer Art euphorischen Melancholie ergeben.
Es gibt Fotos, die Baader in der Wohnung zeigen. Er lehnt an einer weißen Wand, raucht und wirkt verloren. Anders die Bilder, die zusammen mit Gudrun Ensslin in der Bar gemacht sind. Wie bereits bei den Aufnahmen vom Kaufhausbrandprozess spürt man die tiefe Verbundenheit der beiden. Ensslin hat die Haare geschnitten und dunkel gefärbt, ist ansonsten aber ihrem Existentialistenchic treu geblieben. Die Porträts von ihm zeigen, dass er älter geworden ist, die weichen Züge sind verloren gegangen, abschätzig schaut er von unten in die Kamera. Den Kragen seiner Lederjacke hat er hochgeschlagen, lässig hält er die Zigarette, seine Haare sind wie immer kurz geschnitten. Man spürt die Sicherheit, die ihm sein Körper gibt. Baader blickt wie einer, der etwas verloren hat und dabei ist zu überlegen, was er eigentlich erobern will.
Erstes Opfer seiner neuen Pläne wird Thorwald Proll. Den Freund, der die vergangenen Jahre nahezu ununterbrochen an seiner Seite gewesen war, stieß Baader einfach ab; er passte nicht mehr ins Konzept. Sie ließen ihn einfach zurück. Proll sagt, er wurde ersetzt, weil er den Anschluss verloren habe: „Ich blieb in der Wohnung, und die gingen raus. Das war ein etwas trauriger Moment. Es war einsam.“ Die anderen fuhren nach Rom und landeten schließlich am Ende Europas in Sizilien. Sie setzten nicht über nach Afrika, kehrten zurück nach Rom. Sie wurden in den Kreisen der Salonrevolutionäre herumgereicht, wobei vor allem Ensslin mit ihrem heiligen Eifer einen guten Eindruck hinterließ. Baader nahm man eher hin, auch interessierte er sich mehr für die Seidenhemden des Gastgebers als für das intellektuelle Geplauder.
Da meldet sich Baaders Anwalt Horst Mahler aus Berlin. Er bietet ihnen die Rückkehr in den Schoß der Bewegung an. „Ich kannte die Situation der Leute“, so Mahler 1997 in einem Zeit-Interview, „und habe ihnen etwas Geld mitgebracht, das mir in München von hochmögenden Kulturschaffenden zugeschanzt wurde. In einer nächtlichen Diskussion mit Andreas Baader, mit Gudrun Ensslin, mit Astrid Proll und noch ein paar anderen haben wir uns über das verständigt, was wir hier machen werden.“ Mahler war dabei, eine Gruppe von Vertrauten zu rekrutieren, die bereit waren, in den Untergrund zu gehen. Ihm schwebte so etwas wie bewaffnete Sozialarbeit vor und dafür schienen ihm die beiden die Richtigen zu sein. Trotz breiter Mobilisierung war das Gnadengesuch gescheitert, bei einer Rückkehr nach Deutschland mussten sie mit ihrer Verhaftung rechnen.
Es war das einzige Angebot, das sie hatten. Die Brandstiftung hatte ihnen Türen geöffnet, an denen sie vorher nicht anzuklopfen gewagt hätten. Ulrich Enzensberger schreibt, sie seien regelrecht herumgereicht worden. Baader war zuvor nie länger im Ausland gewesen. Und nun hatte er den Schlüssel zu einer feinen Pariser Wohnung in der Tasche und galt als begehrter Gast in den Künstler- und Intellektuellenkreisen Roms. Diese Reise hatte ihn mit Bedeutung aufgeladen, ihm aber auch seine Grenzen gezeigt. Vom Ausland aus würde es ihm nie gelingen, eine wichtige Rolle im Revolutionsgeschäft zu spielen. Er hatte so gut wie nichts gelesen und sprach nur Deutsch. Eine Rückkehr in die deutsche Normalität hätte bedeutet, dass er seine Reststrafen absitzen musste und danach vielleicht wieder ein bisschen Spaß mit den Jungs aus dem Heim haben konnte. Das war weder glamourös noch gefährlich. Oder aber er nahm Mahlers Angebot an, blieb untergetaucht und sorgte durch Aktionen dafür, dass sich sein Ruf als harter Revolutionär festigte.
Bei ihrer Rückkehr nach Berlin trafen Baader und Ensslin auf die Frau, die sie als Zeugin ihrer revolutionären Mission brauchten. Ulrike Meinhof war im Gegensatz zu ihnen durch ihr intellektuelles Format bekannt geworden. Ihre vielbeachteten Kolumnen waren in Konkret erschienen, sie war zu Gast gewesen bei Werner Höfers „Frühschoppen“, nahm eine außergewöhnliche Rolle in der Hamburger Gesellschaft ein, „als Lieblingskind, als verhätschelte Ausnahmeerscheinung, als Exotikum, als Überbaukrönung eines pluralistischen Establishments: von der Sache her unerbittlich, aber im Privaten doch nicht ungern dabei“, so Peter Rühmkorf.
Als eine Art moderne Medea hatte sie ihre Villa in Hamburg Blankenese verwüstet, ihren Mann und später ihre Kinder verlassen, um von Berlin aus gegen den „Faschismus“ zu kämpfen. Meinhof war ebenfalls in der „Heimkampagne“ aktiv und kannte Ensslin von einem Interview, das sie mit ihr zum Kaufhausbrandprozess geführt hatte. Im März 1970 kommt es in Meinhofs großbürgerlicher Wohnung zu einem nächtlichen Treffen zwischen den Mitgliedern der späteren „Spaßguerilla“ und den Kadern der zukünftigen „Stadtguerilla“. Allesamt sind sie gescheiterte Figuren, die nicht wahrhaben wollen, dass ihre große Zeit vorüber ist. Baader spielt seine neue und alte Paraderolle: Er war schon immer ein Gesetzloser, ist bereit zum Verbrechen, das nichts anderes als revolutionäre Praxis ist. Immerhin hat er ein Kaufhaus angezündet und lebt nun in der Illegalität. Mit der ihm eigenen Großspurigkeit, die sich auf nichts gründet, geht er davon aus, dass er eine große Nummer ist.
Einen Monat später sitzt er wieder im Gefängnis. Bei einer Polizeikontrolle hatte er die Daten seiner gefälschten Papiere nicht im Kopf gehabt und war enttarnt worden. Seine Getreuen müssen handeln. Ulrike Meinhof, die laut Joachim Fest zunehmend darunter gelitten hatte, dass ihre Schreibmaschine keine Waffe und mit bloßen Gedanken keine Veränderung möglich war, erklärte sich dazu bereit. Sie verfügte über beste Kontakte und schließt mit dem Verleger Klaus Wagenbach einen Vertrag für ein Buchprojekt über die Organisation sozial geschädigter Jugendlicher. Ihr Co-Autor Andreas Baader erhält eine Ausgangserlaubnis, um Quellen im „Institut für soziale Fragen“ zu studieren. Am 14. Mai erscheint er dort in Begleitung zweier Justizbeamter; Meinhof wartet bereits im Lesezimmer auf ihn. Kurz darauf wird er von vier maskierten und bewaffneten Personen befreit. Der Institutsangestellte Georg Linke wird von einem der Baader-Befreier lebensgefährlich verletzt. Das Fluchtauto markiert den neuen Stil der Guerilleros: Es war ein Alfa Romeo Giulia.
Nun hatte Andreas Baader zwei Frauen, die an ihn glaubten. Ulrike Meinhof war durch ihren Umzug nach Berlin ihrer eingespielten Rolle als „Lehrerin und Bekehrerin“ (Rühmkorf) verlustig gegangen und suchte nach Ersatz. Sie fand ihn als Propagandistin der terroristischen Tat und Handlangerin des Paares Baader/Ensslin. Nach der Baader-Befreiung wurde ein von ihr auf Tonband gesprochener Text im Spiegel veröffentlicht, der den menschenverachtenden Zug ihres politischen Denkens und Handelns zeigt. Sie plädiert dafür, Polizisten nicht als Menschen, sondern als pigs zu bezeichnen. „Denn wir haben nicht das Problem, dass das Menschen sind, insofern es ihre Funktion ist, beziehungsweise ihre Arbeit ist, die Verbrechen des Systems zu schützen, die Kriminalität des Systems zu verteidigen und zu repräsentieren.“
Die Schlussfolgerungen aus ihrem denkerisch enttäuschenden und einfach nur brutalen Text lauten, dass sie sich und ihre Genossen dazu ermächtigt und auffordert, zu schießen und zu morden. Das zweite Anliegen ihres Textes ist es, von der Größe des Andreas Baader Zeugnis abzulegen. Er ist wertvoll, weil er zu denjenigen gehört, „die jetzt kapiert haben, was zu machen ist und was richtig ist“. Meinhof brachte Ensslin ihr „Baby“, wie sie Baader nannte, zurück. Die gewaltsame Gefangenenbefreiung war ihr Entree in die Welt des Paars. Im politischen Paar geht die subjektive Lebensmacht mit der kollektiven Mission eine Verbindung ein. Das war es, was die Meinhof an den beiden anzog. Erst nachträglich verfasste sie den Text, der der Tat die höheren Weihen verlieh. Meinhof gehörte nun zu den Wiedervereinten, gemeinsam wollten sie „die Rote Armee aufbauen“.
Von dem Arrangement profitierten beide Seiten. Meinhof, der ihre Worte nicht mehr genügten, um ihren Hass zu stillen, hatte durch ihren Anschluss an Baader und Ensslin eine neue Identität gefunden. Ihr neues Leben war existenziell mit dem des Paares und der Gewalt verknüpft: Sie lebten im Untergrund, waren steckbrieflich gesuchte Kriminelle. Baader und Ensslin gewannen durch Meinhof an Prestige. Die Texte der einstigen Starjournalistin wurden in den wichtigen Magazinen gedruckt, sie hatte Zugang zu den ersten Kreisen in Gesellschaft und Politik. Im Gegensatz zu dem diesbezüglich eher unbeschlagenen Paar dachte Ulrike Meinhof in Einflusspositionen. Das konnte für die revolutionäre Praxis, die ihnen vorschwebte, nur von Vorteil sein.
Andreas Baader verwandelte irgendwann Ende der Sechzigerjahre seine Hochstaplerexistenz in eine politische Mission. Er war gezwungen, das Böse zu tun auf der Suche nach dem vermeintlich Guten. Der schöne junge Mann, der so einfach Macht über andere bekam, wurde zu einem Dandy des Bösen. Für Albert Camus ist derjenige, der das göttliche und moralische Gesetz herausfordert, nicht der Revolutionär, sondern der Dandy. Er schafft sich selbst durch die Weigerung und die Verneinung. Sein Leben kann er nicht leben, deshalb spielt er es vor. Dazu braucht er das Publikum, das er in immer neuen Inszenierungen reizt. Auch Baader versuchte immer wieder, die eine terroristische Aktion durch die andere zu überbieten. Die anderen – die bundesrepublikanische Öffentlichkeit – waren der Spiegel, in dem er sich sehen wollte. „Immer im Bruch mit der Welt, am Rand, zwingt er die andern, ihn selbst zu erschaffen, indem er ihre Werte leugnet“ (Camus in „Der Mensch in der Revolte“). Baader war der Dandy, der sich zum einsamen Herrscher geboren fühlte und doch wusste, dass er verloren war.
Sie hatten Berlin verlassen, um sich in einem palästinensischen Camp zu Guerilleros ausbilden zu lassen. Andreas Baader hält nicht viel von revolutionärer Disziplin, er mimt den Chef und will mit seinem Ausbilder gleichberechtigt von Guerillachef zu Guerillachef verhandeln. Eigentlich interessieren ihn nur Waffen und seine Freundin. Baader war ein Meister der gezielten Verunsicherung, der die Zeit im Camp dazu nutzte, um seinen Anspruch auf die Alleinherrschaft in der Gruppe durchzusetzen. Die Mitreisenden quält er am liebsten oder denkt laut über deren Liquidierung nach. Er hatte eine subtile Technik entwickelt, andere zu entmachten und sich selbst dadurch zu stärken. Auch dass sie von den palästinensischen Kämpfern aufgefordert werden zu gehen, schmälert nicht die Machtfülle, mit der die anderen bereit sind, ihn auszustatten. Der Dandy kennt keinen Nächsten. An Baaders Führungsanspruch innerhalb der Gruppe bestand kein Zweifel. Im Gefängnis wird er von den anderen RAF-Gefangenen „Generaldirektor“ genannt werden, seine Briefe pflegte er in grüner Cheftinte zu schreiben, und man fürchtete ihn.
Nach ihrer Rückkehr aus Jordanien im August 1970 waren sie damit beschäftigt, ihr Leben im Untergrund zu organisieren. Sie gehen mit großer krimineller Energie vor: In anderthalb Jahren erbeuten sie bei bewaffneten Banküberfällen fast eine Million Mark, stehlen Dutzende Autos, ungefähr hundert Pistolen, Maschinengewehre, tausende Schuss Munition sowie Chemikalien zur Bombenherstellung. Sie beschaffen bei Einbrüchen in Rathäusern hunderte Blankoformulare von Personalausweisen, Führerscheinen und Reisepässen nebst Stempeln und Siegeln.
Das Leben im Untergrund erfordert ein hohes Maß an Mobilität, sie sind ständig unterwegs, kein Schlupfwinkel, keine konspirative Wohnung bietet ihnen ausreichende Sicherheit. Die Selbstausgrenzung, die in der Wahl dieses Lebens steckt, bestärkt Baader in dem Gefühl, ein Auserwählter zu sein. Er trainiert seine „Kondition der Unzugehörigkeit“ (Hans Magnus Enzensberger), die ihm schon immer eigen war.
Immer mächtiger wurde die Vorstellung, dass er sich und seine Welt selbst erschafft. In den Wohnungen, in denen er lebte, war zumeist nur der Eingangsbereich möbliert, der Rest war bis auf Matratzen leer. Die Spuren, die er hinterließ, sollten nur Spuren der Gewalt sein. Die Verbrechen, die im Namen der RAF begangen wurden, dienten allein der Selbstvergewisserung derer, die sie begingen. „Es gab zwar den globalen Begründungszusammenhang ‚Antiimperialismus‘, aber es fehlte an Reflexion darüber, was die jeweiligen Taten und Aktionen in der konkreten politischen Landschaft der Bundesrepublik hätten bedeuten sollen. Man hat sich nicht darum geschert, was das innenpolitisch bedeutete, was das auslöste.“ (Wolfgang Kraushaar)
Baaders Rückzug aus der Gesellschaft war total. Er lebte in einer künstlich geschaffenen Welt. Sie sollte ihm helfen, sein Leben als eine Art heroisches Kunstwerk zu führen. Er war die Avantgarde und Gudrun Ensslin seine Propagandistin, die ihn als Erlöserfigur aufbaute. Sie schrieb über ihn: „Der Rivale, absolute Feind, Staatsfeind: das kollektive Bewusstsein, die Moral der Erniedrigten und Beleidigten, des Metropolenproletariats – das ist Andreas.“ An ihm, der sich über die Ziele bestimmte und ein neuer Mensch geworden ist, nämlich „klar, stark, unversöhnlich, entschlossen“, sollten sich die anderen ein Vorbild nehmen.
Die Begründungen seiner Verbrechen waren fern von einem vernünftigen Inhalt. Daran zeigt sich ihre dandyistische Struktur. Baader fühlte sich über Gesetze, Regeln und Normen erhaben, Gewalt auszuüben schürte in ihm das Gefühl seiner Erhabenheit. Es war Ernst Jünger, der in seinem 1932 erschienen Text „Der Arbeiter“ die Empfehlung an die Jugend ausgesprochen hatte, dass es unendlich erstrebenswerter sei, „Verbrecher als Bürger zu sein“. Die Verbrecher maskierten sich als Bürger. Das war das unerhört Neue an der RAF und macht ihre ästhetische Wirkung bis heute aus, dass sie sich äußerlich nicht vom Bürger unterschieden, sondern sich als Bürger tarnten.
Ästhetisch bedeutet das Auftreten der RAF das Ende von 1968. Ihnen geht es nicht um Gegenkultur und provokative Abweichung, sondern um Luxus und Gewalt. Baader, der großen Wert auf sein Äußeres legte, wollte immer anders sein als die Akteure der Studentenbewegung. Ihn kann man sich nicht mit Nickelbrille und Rauschebart vorstellen. Er trug die Haare stets kurz geschnitten, kleidete sich gut, eng und körperbetont. Er mochte Samt und Seide. Sie lebten außerhalb der Gesellschaft, stilisierten sich jedoch als deren besserer Teil. Die bewaffneten Revolutionäre spielten Bourgeoisie. Ein großer Teil des Geldes, das sie bei Banküberfällen erbeuteten, gaben sie für Kleider aus. Die Mode kam ihnen entgegen. Aus heutiger Sicht wirken die meisten modebewussten Bürger dieser Zeit eher verkleidet. Perücken zu tragen war durchaus üblich. Die Terroristen fielen mit ihren deutlich sichtbar falschen Haaren nicht als verkleidet auf.
Baader besaß das Monopol des Narzissmus innerhalb der Gruppe. Er war das schöne Wesen und duldete niemanden neben sich. In Bezug auf sein Äußeres gebärdete er sich unvernünftig wie eine Frau. Im palästinensischen Camp hatte er sich geweigert, einen Kampfanzug anzuziehen, und war in seinen engen Samthosen durch die Wüste gerobbt. In seiner Boheme-Zeit zu Beginn der Sechzigerjahre ging er gerne geschminkt aus. In seiner Stammheimer Zelle fand man Lidschatten, Pelze und Haarspray. Andreas Baader war der Dandy aus der Welt der Frauen, der seinen Krieg gegen den Staat führte.
Doch davon existieren keine Bilder. Ihre Zeit im Untergrund ist bilderlos. In der Öffentlichkeit blieben sie unsichtbar. Für die Fahndungsplakate benutzte man Jugendbildnisse oder alte Polizeifotos. Vom stumpfen Orange der Siebzigerjahre heben sich die unscharfen, grauen Bilder schlecht gelaunter junger Menschen auf den poppostergroßen Fahndungsplakaten ab.
Baader wurde im Porsche festgenommen. Der Porsche war auberginefarben, mit Handgranaten bestückt, Baader fuhr wie immer ohne Führerschein. Es war um 5.50 Uhr im Juni 1972, er befand sich in Begleitung von Holger Meins und Jan-Carl Raspe. Die Frankfurter Tiefgarage stand unter Bewachung des BKA. Bei einem Kontrollgang hatte man dort große Mengen selbst laborierten Sprengstoffs und Fluchtfahrzeuge der oberen Mittelklasse gefunden. Man war sich sicher, dass es sich um ein geheimes Depot der RAF handelte, und musste nur noch warten, bis der Fisch ins Netz ging. Baader wurde bei der Festnahme angeschossen. Auf den Filmaufnahmen sieht man ihn hilflos, mit schmerzverzerrtem Gesicht, schlecht gefärbten rotblonden Haaren, die Augen hinter dunklen Sonnenbrillengläsern verborgen. Er war bewaffnet gewesen. Eine Woche darauf riefen die Verkäuferinnen einer edlen Hamburger Boutique die Polizei. Eine Kundin hatte ihre Lederjacke so drapiert, dass die darin versteckte Pistole deutlich zu sehen war. Sie hatte noch eine zweite Waffe bei sich und hieß Gudrun Ensslin. Eine weitere Woche später wurde Ulrike Meinhof festgenommen.
Im Namen der RAF waren in den vergangenen Monaten sechs Sprengstoffattentate verübt und mehrere Menschen getötet worden. Zu den Anschlägen waren Bekennerschreiben erschienen, in denen in triumphierendem Ton die Gewalt gefeiert wurde. Mit Baader’schem Imponiergehabe hatte man das „Volk“ über die Existenz verschiedener „Kommandos“ unterrichtet, die im Auftrag der RAF handelten. Als Chef des „Terroristenvereins“ (Sebastian Haffner) hatte Baader so gelebt, wie es ihm gefiel: Keiner aus seiner Truppe traute sich, ihm zu widersprechen, er verprasste Geld, raste mit schnellen Autos durch die Lande, hatte viele Frauen um sich geschart und alle fürchteten ihn. Gewalt, Geld und Geschwindigkeit waren die Elixiere seines Lebens. Die Liebe zur Höchstgeschwindigkeit begleitet ihn von seinen ersten kriminellen Delikten bis zu seiner Festnahme als „Staatsfeind Nummer eins“. Das Rasen vermittelte ihm das Gefühl, ziellos und potent zu sein. Baader war ein Waffen- und Autonarr. Zu den wenigen Dingen, die er gelernt hat, gehört es, extrem schnell eine Waffe auseinander oder zusammenzubauen. Fast alles außer der Beschleunigung und dem Unfall langweilte ihn. Und nun saß er fest.
Er wollte nicht aufgeben und wusste, dass er dieses Mal nicht mit Haftverschonung rechnen konnte. Andreas Baader war nichts ohne seine Truppe. „Allein sein heißt für den Dandy nichts sein“ (Camus). Der Druck nach innen musste so stark sein, dass keiner seiner Mitgefangenen auf die Idee kam auszusteigen. Baader hatte als Chef dafür zu sorgen, dass sich in den eigenen Reihen nicht die Einsicht breit machte, der Staat habe gesiegt. Jedes Nachdenken über das Scheitern des bewaffneten Kampfes wurde als Verrat betrachtet. Darauf stand die Todesstrafe.
Vergleicht man die Zellenzirkulare Baaders aus den Siebzigerjahren mit den Briefen, die er Ende der Sechzigerjahre geschrieben hat, als er wegen des Kaufhausbrandes einsaß, so fällt sein deutlich veränderter Schreibstil auf. Die Briefe waren handgeschrieben – Baader hatte eine verblüffend runde, flüssige Schrift – und in einem eher freundschaftlichen Ton gehalten. Er gibt zu, dass er unter der Haft leidet, wenn er am 17. April 1968 an die K 1 schreibt: „Depressionen, Ärger mit dem Personal und ScheißNächte.“ Er zeigt Anflüge von Humor, schickt Grüße, benutzt die Groß- und Kleinschreibung, unterschreibt mit Andreas.
Die Zellenzirkulare dagegen sind auf der Maschine getippt. Er schreibt konsequent klein, unterzeichnet mit „a.“ Dieses „a.“ sieht aus, als sei es Teil einer Formel. Außer Hass auf alles findet man darin keine Hinweise auf persönliche Befindlichkeiten. Es handelt sich um häufig kurze Mitteilungen, um Befehle, die den Empfänger wie ein Peitschenschlag treffen sollen. Er duldete keinen neben oder über sich. Die Rechtsanwälte hatten ihm zu gehorchen, nicht ihn zu beraten.
KARIN WIELAND, 46, studierte Politische Theorie und Ideengeschichte und lebt in Berlin. Ihr Text ist eine gekürzte Fassung ihres Beitrags zu dem am 27. Januar erscheinenden Band „Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF“ (Verlag Hamburger Edition, 142 Seiten, 12 Euro)