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Zwischennutzung in FabrikIdeenlabor in Hemelingen

Seit einem Jahr gibt es das Zwischennutzungsprojekt „Wurst Case“ in der ehemaligen Wurstfabrik. Mit Erfolg. Und wie geht es in Hemelingen weiter?

Hemelinger Pioniere: Daniel Schnier und Oliver Hasemann Foto: Jean-Philipp Baeck

BREMEN taz | Wenn Daniel Schnier seinen Rundgang macht, dann erzählt er am laufende Band. Reißt hier eine Tür auf, stolpert dort in ein Büro: Die Mieter in dem Zwischennutzungsprojekt „Wurst Case“ in Hemelingen kennen das schon. Seit einem Jahr haben er und sein Kollege Oliver Hasemann nun das ehemalige Verwaltungsgebäude auf dem brachliegenden Gelände der Wurstfabrik Könecke gemietet, mittlerweile sind die Räume voll ausgelastet.

Ein Hip-Hop-Studio ist mit dabei, viele Künstler, Studenten von der HFK, auch soziale Initiativen, wie die Ambulante Autismushilfe. Es ist ein kleiner sozial-kultureller Kosmos auf fünf Etagen. Seit Januar 2012 stand das Gebäude leer, im April 2015 ging es mit Wurst-Case los. Ziel war es, das Gelände temporär wieder zu beleben, Vandalismus, Diebstahl und Klimaschäden in dem Gebäude vorzubeugen – und neue Nutzungsmöglichkeiten für das Areal aufzuzeigen. Die Projekte von Schnier und Hasemann zielen immer auch auf Stadtentwicklung.

In Hamburg hätten die beiden deshalb wohl längst den Hass linker Gentrifizierungsgegner auf sich gezogen, weil sie Gegenden „aufwerten“ und so etwas dort der Motor für Mietsteigerungen wäre. Aber Bremen ist nicht Hamburg und hier in Hemelingen sieht bislang alles danach aus, als würde man noch ein paar Jahrzehnte warten müssen, bis der erste Soja-Latte-Laden aufmacht.

Die Diskussionen aber, wie das Quartier insgesamt nach vorn zu bringen ist, laufen auf Hochtouren: Seit die Firma Coca Cola ankündigte, den Produktionsstandort in Hemelingen womöglich aufzugeben, glaubt man in der Quartiersentwicklung an ganz neue Möglichkeiten. Die Coca Cola-Produktion grenzt direkt an die ehemalige Wurstfabrik, insgesamt würden 100.000 Quadratmeter zur Verfügung stehen – auch wenn das Wirtschaftsressort noch mit Coca Cola um den Verbleib verhandelt.

Irgendwo im dritten Stock sitzt eine junger Mann mit Kapuzen-Pullover an einem Schreibtisch neben einem Mann in Hemd und Krawatte. Ein Kundengespräch, das sich um 3-D-Drucker dreht, Hochtechnologie und echtes Business. Auch hier schneit Schnier hinein, auch das scheint kein Problem zu sein. Wer im Wurst-Case sein Büro hat, weiß wohl, dass es ein bisschen anders läuft, und vermutlich ist das auch genau der Reiz.

Schnier glaubt nicht, dass sich die Gegend so einfach für Wohnraum erschließen lässt: Bislang gilt das Areal als Gewerbefläche und ist eingeschlossen von zwei Bahntrassen, nach Hannover und Osnabrück. Lärmschutzwälle stehen nur auf der abgewandten Seite, der Flughafen hat hier seine Einflugschneise und dann sei da noch die nahe Entkoffeinierungs-Fabrik, sagt Schnier, die leider nicht nach Kaffee, sondern eher nach Fischmehl dufte.

Ob hier ein neues Quartierszentrum entstehen könnte, sollte am Montag auch Thema im Projektausschuss des Hemelinger Beirats sein. Doch die Interessen gehen auseinander. Die Stadt wünscht sich günstigen Wohnraum, mögliche Investoren würden wohl eher darauf hoffen, mit hochpreisigen Appartements ihren Profit zu machen. Und auch der Fabrikbesitzer Könecke will das Gelände zum maximalen Preis veräußern. Man sei im Gespräch, heißt es aus dem Bauressort.

In Hemelingen sieht alles danach aus, als wird man noch ein paar Jahrzehnte warten müssen, bis der erste Soja-Latte-Laden aufmacht

Schnier glaubt, dass es das Projekt Wurst Case noch mindestens zehn Jahre gebe und dass es auch in der Entwicklung eines möglichen neuen Hemelinger Quartiers eine Rolle spielen sollte. „Solche Stadtplanung funktioniert nicht von oben“, sagt er. Die Nutzer, meint Schnier, müssten von Anfang an mit einbezogen werden, ebenso die AnwohnerInnen des Stadtteils. Nur so könne ein lebendiges Quartier entstehen.

Zwei Räume im Wurt-Case sind im Erdgeschoss noch frei, aber schon vergeben: Eine Fahrradselbsthilfe Werkstatt will hier einziehen. Gleich nebenan sitzt Uwe M. Arndt. Er war fast von Anfang an mit dabei. In zwei Räumen macht er Taschen aus Recycling-Material, aus Luftmatratzen der 60er-Jahre oder alten Turnmatten. Überall liegen Flatschen von Stoffen und Gewebe, Lötkolben, Nähmaschine, Spezialwerkzeuge. Von der Taschenproduktion allein kann Arndt noch nicht leben, aber Verlust macht er auch nicht. Etwas über 400 Euro zahlt er für seine zwei Räume, anderswo könnte er sich so eine Werkstatt nicht leisten.

Arndt ist so ein Vertreter aus der sogenannten Kreativwirtschaft, den Schnier und Hasemann aus dem Stadtkern locken konnten. „Es ist überhaupt nicht weit“, sagt der. Höchstens 20 Minuten fährt die Straßenbahn vom Zentrum aus. Ein Argument, mit dem vielleicht irgendwann einmal auch Mieter in das ein neues Wohnquartier gelockt werden könnten.

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